Das jüngste Gericht – eine außergerichtliche Verhandlung

Titel, Wann, Wo

Das jüngste Gericht – eine außergerichtliche Verhandlung
2014
Hamburg

Forschungsfrage/-thema

Das Projekt untersucht die Rolle der Stellvertretung vor Gericht und im Theater. Können wir das Theater nutzen, um die Dinge vorzubringen, die im Gericht nicht zur Sprache kommen? Was passiert, wenn Erwachsene von Kindern repräsentiert werden? Wie lässt sich Unrepräsentierbarkeit vor Gericht darstellen? Welche Fälle werden am Gericht nicht (mehr) verhandelt?

„Das jüngste Gericht – eine außergerichtliche Verhandlung“ hat das Gericht ins Theater gebracht: Gesucht wurde nach Fällen, die aus dem Rechtssystem fallen. Menschen, die ihre Fälle verloren haben oder deren Fälle gar nicht erst vor Gericht erscheinen können, wurden von Schüler_innen vertreten. Die Repräsentation und Stellvertretung im Theater und die vor Gericht wurden untersucht und vertauscht. Die Kinder fragten während ihrer Erforschung des Gerichts nach ihren Möglichkeiten, an der Rechtsprechung teilzuhaben. Die Widerstände, die ihnen begegneten, – Mangel an Verständlichkeit, fehlende Volljährigkeit, ständiger Aufschub, um nur einige zu nennen – aber auch die von ihnen gewählten Anknüpfungspunkte, wurden im Rahmen dieses zweiten Projektes verfolgt.

Initiierende / Projektleitung

Künstlerische Leitung: Elise v. Bernstorff, Raum: Gonzalo Barahona, Kostüm: Mareike Bongers, Sounds: Katharina Kellermann (Pelosi), dramaturgische Begleitung: Greta Granderath

Beteiligte Institutionen/Kontext und Anbindung

FUNDUS THEATER/Theatre of Research

Mitforschende

Jim Ismael Anton, Gonzalo Barahona, Justus Berger, Mareike Bongers, Greta Granderath, Katharina Kellermann (Pelosi), Cecilia Meyer-Abich, Lilo Schmolke

Mitwirkende: Dietrich Kuhlbrodt, Boran Burchhardt, Christopher Hahn, Paul Schmid (BUNDHamburg), Johannes Kohl, Dörte Schmidt-Reichard, Kim (Name geändert), Maritza Schwarten, Rüdiger Steinbeck, Sven Fraass/Tierschutzverein Hamburg, Klasse 10b der Stadtteilschule am Hafen/St. Pauli, Frank Helmrich

Forschungsverfahren & Mittel

Über Plakate, Flyer und einer Homepage wurden Menschen gesucht, die einen Fall haben, den sie von Kindern vertreten lassen möchten. Die Fälle wurden dokumentiert mit den Mitteln, die die Beteiligten sich wünschten oder zur Verfügung stellten. Dann haben vier Kinder die Institution „Das jüngste Gericht“ gegründet und zu einer Versammlung eingeladen, in der sie die Menschen, Pflanzen und Tiere vertraten und für sie sprachen. Verschiedene Stationen gaben verschiedene Sprechweisen vor: Sprechen für, verkörpern, ungeregeltes Sprechen. Rasterhafte Strukturen im Raum boten Anlass, mit Gängen und Bewegungen zu experimentieren, es gab ein Archiv und eine Station, an der die Fürsprachen dokumentiert wurden.

Präsentationsformate/Dokumentationsformen

Bühnenperformance

Prozessorganisation/Dauer

Herbst 2013-Frühjahr 2014

Forschungsergebnisse

Ein Sprechen-Für ist häufig in der Gefahr, ein Sprechen-Über zu sein, in dem eine Darstellung des Anderen als hegemoniale Praxis mit Definitions- und Bildmacht ausgestattet ist und Dominanzverhältnisse wiedergibt. In dieser Position des Repräsentiert-Werden befinden sich Kinder häufig. Wenn Kinder Erwachsene vertreten, ist dieses übliche Dominanzverhältnis nicht automatisch aufgerufen. Der Theaterraum ermöglichte es, eine Lücke für das Unvertretbare in der Stellvertretung, das Ungesicherte der Repräsentation zu lassen. Ist das Gericht ein Ort der Transformation vom Realen in die symbolische Ordnung, so ließen sich im Theater umgekehrt dem Symbolischen und Imaginären selbst eine Wirklichkeit schaffen. Für die Konzeption des Projektes war außerdem die Absicht leitend, den Kindern eine andere Geltung zu ermöglichen, als ihnen üblicherweise vor Gericht zugestanden wird.

Referenzen & Sonstiges

v. Bernstorff, Elise (2018): “Die Institution des Gerichts. Zwei künstlerische Forschungen mit Kindern”, in: Hinz, Melanie/Kranixfeld, Michael/Köhler, Norma/Scheurle, Christoph (eds): Forschendes Theater in Sozialen Feldern, Soziale Kunst III. München: kopaed, S. 219–229.

© Elise von Bernstorff
© Elise von Bernstorff