Sechs W-Fragen an performatives Forschen mit Kindern und Jugendlichen
Das Praxisfeld der künstlerischen Forschung mit Kindern und Jugendlichen entwickelt sich seit Beginn des 21. Jahrhunderts an verschiedenen Schnittstellen: zwischen Kinder- und Jugendtheater, Theaterpädagogik und kultureller Bildung, zeitgenössischer Performancekunst und künstlerischer Forschung. Eine systematische Aufarbeitung, gerade über disziplinäre Grenzen hinweg, fehlt bisher.
Forschende Ansätze in Theaterpädagogik und kultureller Bildung werden wissenschaftlich unter dem Begriff des Forschenden Theaters zusammengefasst und diskutiert, wobei auch dieser noch einer Theoriebildung bedarf (vgl. Pinkert 2018: 256; Hinz et al 2018: 23). Eine Hinwendung zu Forschung wird hier seit Anfang der 2000er Jahre beobachtet. Dies zeigt sich an neuen Formaten wie Laboren und Akademien, welche die Trennung von Vermittlung und Kunstproduktion in Frage stellen und sich als Forschungsvorhaben mit einem Erkenntnisinteresse verstehen (vgl. Wartemann 2014: 155/156, Hruschka 2016: 120). Als erster Programmschwerpunkt für Forschung wird 2003 das Forschungstheater am Hamburger FUNDUS Theater gegründet, das als szenisches Forschungslabor prägend für Praxis und Diskurs ist (vgl. Pinkert 2018: 253, Hinz et al 2018: 23). Szenische und performative Forschung mit Kindern und Jugendlichen wird hier als eine Praxis zwischen Kindheit, Kunst und Gesellschaft konzipiert als ein Forschen aller, wie die Gründerin Sibylle Peters 2013 ihre Publikation betitelt (Peters 2013). Damit werden Praxis und Diskurse zu Künstlerischer Forschung (u.a. Badura et al 2015) um einen Ansatz partizipativer Forschung mit der Kunst erweitert (vgl. Gunsilius 2022: 215). Auch Hinz et al verorten Forschendes Theater in ihrer künstlerisch-wissenschaftlichen Bestandsaufnahme als eine kollaborative Praxis in sozialen Feldern (vgl. Hinz et al 2018: 23) und benennen in ihrem kurzen historischen Überblick Formate wie die Winterakademie am Theater an der Parkaue (seit 2005) und das TUKIForscherTheater, in dessen Rahmen seit 2014 Projekte durchgeführt werden, die erstmals Kita-Kinder als Forscher*innen adressieren. Zur Pilotphase (2014-2018) und darüber hinaus liegen Studien der wissenschaftlichen Begleitforschung vor (u.a. Kaiser/Milbert 2018; Lobert 2020).
Parallel zu dieser Entwicklung lassen sich im zeitgenössischen Theater, Tanz und Performance immer mehr künstlerische Produktionen finden, die sich einer transgenerationellen Praxis und Ko-Kreation verschreiben (u.a. seit Ende der 1990er Jahre initiiert vom Genter Kinder- und Jugendtheater CAMPO). Solche Projekte, in denen Kinder als Ko-Autor*innen eine neue Position einnehmen und die auch inhaltlich vorherrschende Kindheitsbilder befragen, werden in Publikationen wie Stop Teaching! (Deck/Primavesi 2014) und Kids on stage(Westphal et al 2022) reflektiert. Sie partizipieren ebenfalls am Praxisfeld performativer Forschung mit Kindern und Jugendlichen und schaffen neue Schnittstellen zwischen zeitgenössischer Theaterpraxis, Bildung und Forschung.
Im universitären Kontext konnte der partizipative Ansatz künstlerischer Forschung durch die Graduiertenkollegs Versammlung und Teilhabe (2012-2015) und Performing Citizenship (2015-2018), die beide einmalig in Deutschland eine künstlerisch-wissenschaftliche Promotion ermöglichten, weiterentwickelt werden. Die Arbeitsweisen dieser Kollegs wurde durch Participatory Art Based Research aufgearbeitet und in neun Forschunsformaten dargestellt (Evert et al 2020). Auch hier ist die Forschung mit Kindern und Jugendlichen ein zentrales Anliegen (vgl. Gunsilius/Kowalski 2021).
Dieser Kurzabriss der Entwicklung von performativer Forschung mit Kindern und Jugendlichen erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit – auch weil sich das Praxisfeld stetig weiterentwickelt, wie z.B. die Gründung des Netzwerkes für Forschung im Kinder- und Jugendtheater im Jahr 2022 zeigt.
Dieser Text möchte angesichts der Interdisziplinarität und Diversität des Feldes eine strukturelle Bestandsaufnahme aus der Praxis heraus versuchen.1 Ausgangspunkt und Gegenstand sind Beispiele solcher Forschungsprojekte der letzten zehn Jahre, die im Rahmen des Netzwerks für Forschung im KJT von dessen Mitgliedern vorgeschlagen wurden und auf der Website des Netzwerks (siehe Projekte) zu finden sind. Das Netzwerk setzt sich aus unterschiedlichen Akteur*innen des Praxisfeldes zusammen, weswegen auch die Forschungsprojekte aus unterschiedlichen Kontexten stammen und einen weiten Begriff von Theater und Performance umfassen. Nicht alle finden auf einer Bühne statt, nicht alle beschränken sich auf Live-Aufführungen vor Publikum. Das Feld ist geprägt von einem weiten Spektrum an Formen, Formaten und Medien, die zum Einsatz kommen. Alle Projekte jedoch involvieren Kinder und Jugendliche, bei allen ist Partizipation zentral. Dabei verstehen sich die Projekte entweder selbst explizit als Forschung, sind in einem Forschungskontext angesiedelt oder enthalten forschende Elemente.2
Es wird im Folgenden nicht um eine theaterwissenschaftliche Analyse dieser Projekte gehen, sondern darum, die (infra-)strukturellen Rahmenbedingungen und Gestaltungsfragen dieser Forschungsprojekte zusammenfassend zu beschreiben. Welche Forschungsthemen und -fragen werden verhandelt, welche theatralen und performativen Verfahren und Praktiken der Forschung werden angewendet? Wer forscht genau mit wem in welchen Strukturen? Und warum überhaupt sollte es solche transgenerationellen Forschungsprojekte geben?
Entlang von sechs W-Fragen (Wer? Warum? Was? Wo? Wie? Wann?) soll mit Blick auf Projekte der letzten zehn Jahre die enorme Vielfältigkeit sichtbar werden und gleichzeitig sollen Gemeinsamkeiten aufgezeigt und offene Bedarfe formuliert werden – nicht zuletzt hinsichtlich der Frage, was die zukünftige Entwicklung dieses Feldes an strukturellen Rahmenbedingungen braucht. Denn die Vielfältigkeit, so wünschenswert und notwendig sie einerseits sein mag, ist doch auch dem Umstand geschuldet, dass Forschung im Kinder- und Jugendtheater auch 2022 bis auf wenige Ausnahmen kein etablierter Programm- oder Förderbereich ist.
Wer?
Die Forschungsprojekte werden in der Regel von Künstler*innen, zumeist aus den Bereichen Theater und Performance, aber durchaus auch aus anderen künstlerischen Feldern (Tanz, bildende Kunst etcetera) initiiert und verantwortet. Oftmals bewegen sich diese Künstler*innen zwischen Kunst und Wissenschaft beziehungsweise verstehen ihre künstlerische Arbeit als eine forschende Praxis3. Ihre Expertise ist die Gestaltung der kollaborativen Forschungsprozesse: „Sie sind die Spezialist_innen, die über das notwendige künstlerische Wissen und das notwendige Handwerk verfügen.“ (Scheurle 2018: 274)
Die Kinder und Jugendlichen wiederum kommen über verschiedene Einladungen und Aufforderungen zu den Projekten. Diese können im Kontext der Schule ausgesprochen werden, zum Beispiel als Teil des Theaterunterrichts, oder im Kontext Theater/Kunst, zum Beispiel über öffentliche Einladungen zu Workshops oder Veranstaltungen, oder auch im Kontext außerschulischer Bildungsangebote, zum Beispiel über Kurse. Das heißt auch, dass die Zusammenarbeit von Kindern/Jugendlichen und Erwachsenen durch weitere beteiligte Institutionen vermittelt und geformt wird und so auch hier von unterschiedlichen Logiken geprägt ist (in der Schule müssen zum Beispiel Lehrpläne berücksichtigt werden, im Theater braucht es öffentliche Veranstaltungen). Und es kann bedeuten, dass die forschenden Kinder und Jugendlichen nicht über ein eigenes Interesse/eine eigene Motivation an der eigentlichen Forschungsfrage zu dem Prozess kommen, sondern durchaus aus anderen Gründen und oft auch Verpflichtungen. In unterschiedlichen Settings wurden daher Strategien entwickelt, die Forschungsinteressen der Kinder/Jugendlichen zu berücksichtigen bzw. überhaupt herauszufinden – im Forschungstheater zum Beispiel über das Sammeln von Wünschen der Kinder (vgl. Peters 2017), bei TUKI über gemeinsame Beobachtungen und Erkundungen (vgl. Milbert 2017: 3).
Grundsätzlich werden Kinder und Jugendliche unterschiedlichen Alters in die Forschungsprozesse eingebunden, von Kitaalter (hier ist vor allem TUKI exemplarisch) bis hin zum Schulabschluss. Jedoch legen die Erwachsenen oft das Alter der beteiligten Kinder fest oder grenzen dies zumindest unter der Annahme ein, ein bestimmtes Alter bringe eine bestimmte Expertise oder Erfahrung bezüglich einer Forschungsfrage mit. Für die performative Bustour Farewell Farmsen im Rahmen des Projekts Mobile Welten (geleitet von Esther Pilkington) ist beispielsweise die Perspektive von Schüler*innen kurz vor dem Abitur auf einen Stadtteil, den sie bald verlassen oder anders nutzen werden, zentral. Auch wenn die spezifische Expertise oder Erfahrung der Kinder und Jugendlichen grundlegend für die gemeinsame Forschungsarbeit ist, besteht in der Erwartung gegenüber dieser Perspektive die Gefahr des Othering, das in der Regel in einer Projektion der Erwachsenen auf die Kinder und Jugendlichen stattfindet (Peters 2022: 306).
In den Forschungsprojekten bringen die Kinder und Jugendlichen, oft im Gegensatz zu den beteiligten Erwachsenen, in der Regel diverse Hintergründe mit. Einige Projekte thematisieren die Diversität der Kinder/Jugendlichen. Das Projekt Wie schmeckt das? von Charlotte Pfeiffer erforscht mit dem Tausch von Rezepten die Frage, was ‚fremd‘ bedeutet; Mobile Welten von Esther Pilkington beruht auf der Annahme, dass das Museum in Sachen Transkulturalität von den Kindern/Jugendlichen lernen kann. Einige arbeiten explizit mit den Unterschieden, so die Performance Unterscheidet Euch! von Turbo Pascal, die Klassenunterschiede zwischen Kindern und Stadtteilen aufzeigt. Maike Gunsilius dagegen beschreibt die Probleme und Konflikte, die sich in der Zusammenarbeit zwischen den Erwachsenen (in der Regel „blond und bürgerlich“) und den Kindern mit diversen Hintergründen ergeben können (vgl. Gunsilius 2018a).
Je nach konkretem Forschungsgegenstand und Thema werden in die Projekte auch immer wieder andere erwachsene Expert*innen eingebunden. Dies können andere Künstler*innen sein (für Soundcheck Schule arbeitet das Team des FT mit Musiker*innen zusammen), Wissenschaftler*innen aus verschiedenen Disziplinen (bei dem Projekt Kawumm! von der Fräulein Wunder AG werden Expert*innen aus der Baustofftechnologie, der Mikrobiologie und der Psychotherapie hinzugezogen, die Urlaubsforschung, initiiert von Esther Pilkington, kontextualisiert ihre Ergebnisse gemeinsam mit einer Kulturwissenschaftlerin) oder auch Alltagsexpert*innen und Bürger*innen. Bei der Einführung einer eigenen Währung durch Die Kinderbank (ein Projekt von Sibylle Peters und dem FT) im Stadtteil um das ehemalige FUNDUS Theater herum werden unter anderem Geschäftsinhaber*innen, die diese Währung in ihren Läden akzeptieren, Teil des Forschungsteams. Diese weiteren Expert*innen bringen anderes Wissen in die Projekte ein, binden diese an bestehende Forschung an oder erproben die Forschung in der Praxis.
In der Zusammenarbeit von Kindern/Jugendlichen und Künstler*innen kommen über die beteiligten Institutionen noch andere Erwachsene hinzu, in der Regel Lehrer*innen und Erzieher*innen, die in einem etablierten Machtverhältnis zu den Kindern/Jugendlichen stehen, ein Machtverhältnis, das eben viele der künstlerischen Forschungsprojekte aufzubrechen und zu unterlaufen versuchen. Viele Forschungsprojekte thematisieren die Rolle der Lehrer*innen und Erzieher*innen nicht weiter, ihre Anwesenheit scheint durch die Gegebenheiten begründet und keinen weiteren Einfluss auf die jeweiligen Forschungsprozesse zu haben. Institutionen wie das FT und Programme wie das TUKI versuchen zwar, durch Labore, Workshops und Begleitforschung auch Lehrer*innen und Erzieher*innen in ihre forschenden und künstlerischen Arbeitsweisen einzuführen, in den konkreten Projekten bleibt ihnen dann allerdings oft eine eher organisatorische und koordinierende Rolle.
Performatives Forschen im Kinder- und Jugendtheater heißt nicht, das Verhältnis zwischen Kindern und Erwachsenen völlig zu nivellieren, wohl aber zu thematisieren, zu reflektieren und aufzubrechen. Es heißt, verschiedene Perspektiven auf und Expertisen zu der Forschungsfrage ins Spiel und in Beziehung zueinander zu bringen und dabei das Generationenverhältnis als eine forschende Praxis in Bewegung zu setzen. Dabei geht es auch darum, bestehende Machtverhältnisse zu verschieben oder zumindest aufzuzeigen, oder auch um die Herstellung transgenerationeller Öffentlichkeiten, indem die binäre Unterscheidung zwischen Kindern und Erwachsenen unterlaufen wird. In diese Arbeit andere Erwachsene, die eben in ihrem Alltag in einem klaren Machtverhältnis zu den Kindern/Jugendlichen stehen, einzubeziehen, birgt auch eine Chance für die Wirksamkeit solcher forschenden Kollaborationen auf das Generationenverhältnis über die Projekte hinaus.
Warum?
Performatives Forschen mit Kindern und Jugendlichen versteht sich als eine intergenerationelle Forschung. Sie motiviert sich immer auch aus dieser Arbeit am Generationenverhältnis. Dies zeigt sich auch daran, dass in Begründungen für das intergenerationelle Forschen mit Kindern und Jugendlichen, die in einzelnen Projekten oder theoretischen Positionen formuliert werden, Motive der Teilhabe auf unterschiedlichen Ebenen eine zentrale Rolle spielen: Diskurse zu Forschung und Diskurse zu Partizipation und Teilhabe im künstlerischen, theaterpädagogischen wie auch politischen Kontext berühren einander stark. Das Spektrum reicht dabei von Projekten und Positionen, die sich als forschend begreifen und solchen, die als Forschung im „Konzert der Forschungsweisen“ (Peters 2021: 7) wahrgenommen werden und bestehen wollen. Je nach Forschungsverständnis können sich die Begründungen unterscheiden. Zudem muss davon ausgegangen werden, dass alle Beteiligten stets auch subjektive oder metaphorische Verständnisse von Forschung einbringen, welche es zu thematisieren und zu untersuchen gilt (vgl. Pinkert 2018: 249).
Eine künstlerische Praxis als forschend zu rahmen, geht aus der Perspektive der Macher*innen oft mit dem Anliegen einher, den Fokus vom Produkt auf den Prozess zu verschieben. Etabliert werden sollen ergebnisoffene künstlerische (Proben-)Prozesse und Arbeitsweisen ausgehend von einem Thema oder einer Frage. Hier zeigt sich eine Nähe zu gruppenorientierten künstlerischen Arbeitsweisen, die das Freie Theater auszeichnen und zu denen das devised theatre, das kollektive Arbeiten, die Stückentwicklung u.a. gehören.4Diese Prozessorientierung und -offenheit hat gerade im theaterpädagogischen Kontext oder bei intergenerationellen Ko-Kreationen die Implikation, dass erwachsene Künstler*innen und Kinder gleichermaßen fragend und unwissend (über das Ergebnis) in einen Prozess eintreten. Hierin wird die Voraussetzung für eine gleichberechtigte Zusammenarbeit gesehen. Forschende Ansätze im Kinder- und Jugendtheater tarieren daher das Verhältnis von Prozess und Produkt in der künstlerischen und theaterpädagogischen Praxis neu aus.5 Dies bedeutet nicht, sich von Präsentationslogiken oder einem Publikum gänzlich abzugrenzen; so sieht Peters gerade in der öffentlichen Präsentation als Forschung ein großes Potential (vgl. Peters 2013: 10/11).
Viele Akteure der Forschung mit Kindern und Jugendlichen verbindet das Anliegen, der forschenden Weltaneignung von Kindern im Rahmen von Forschungsprozessen mehr Raum und Geltung geben zu wollen. In dieser Perspektive müssen Kinder nicht erst Forscher*innen werden, sondern sind es in ihrer kindlichen Entwicklung immer schon. Ihnen wird Neugier, „Erkundungsdrang“ (Dunger/Breitig 2018: 31) und „Forschersinn“ (Peters 2016: 20) zugesprochen.6 In Bildungskontexten wird im Forschen mit Kindern und Jugendlichen daher das Potential gesehen, neue Formen der Bildung und des Lernens hervorbringen zu können (vgl. Hruschka 2018: 263) Darüber hinaus bedeutet Forschung mit Kindern aber auch, den gesellschaftlichen Forschungsbegriff und etablierte Wissensordnungen in der Wissensgesellschaft zu verunsichern oder zu erweitern. Ästhetische oder performative Forschung greift diesen forschenden und explorativen Zugang zur Welt auf und bindet ihn in größere Zusammenhänge ein; Kinder, Künstler*innen und Wissenschaftler*innen können sich in diesem Zugang treffen. Mit Kindern und Jugendlichen zu forschen, bedeutet die Frage, was Forschung ist und wer forschen darf und kann, verhandelbar zu halten (vgl. Peters 2013: 14, Hinz 2018 u.a.).
Mit der Verwendung des Forschungsbegriffes geht immer eine Positionierung innerhalb der Wissensgesellschaft einher, was als eine Verschiebung in der Rahmung künstlerischer Praxen gewertet und dementsprechend kontrovers diskutiert wird. Eine wichtige Begründung für das Forschen mit Kindern und Jugendlichen ist die Forderung, dass Forschung in der Wissensgesellschaft keine elitäre und stark zugangsbeschränkte Praxis an Hochschulen und Forschungsinstituten bleiben darf, sondern selbst auf mehr Teilhabe hin geöffnet und demokratisiert werden muss. Forschung kann so als ein Handlungsfeld aller Mitglieder der Gesellschaft konzipiert werden. Theater und Performancekunst haben die Expertise und die Mittel, dieses gemeinsame Forschen unterschiedlicher Akteure zu gestalten, als ein handlungs- und erfahrungsbezogenes Forschen mit der Kunst (vgl. Peters 2013, Evert et al 2020). Eine solche partizipative Forschung mit künstlerischen Mitteln schließt Kinder und Jugendliche notwendigerweise mit ein: Es gilt, nicht über, sondern mit Kindern zu forschen, sie als Mit- oder Ko-Forschende in Forschungsprozesse zu involvieren.
Eine größere gesellschaftliche und politische Teilhabe von Kindern und Jugendlichen ist generell ein wichtiges Anliegen vieler Forschungsprojekte und zugleich auch Gegenstand ihrer Forschung. Sie untersuchen und erproben neue Formen und Formate der Teilhabe, was bedeuten kann, Kindern eine forschende Perspektive auf ihr Lebensumfeld oder die Institution Schule zu eröffnen (wie im Projekt Soundcheck Schule), die Perspektive von Kindern stärker in öffentliche Diskurse einzubringen und sie an gesellschaftlichen Räumen und Öffentlichkeiten außerhalb von Familie und Schule teilhaben zu lassen (u.a. im Projekt Das jüngste Gericht von Elise v. Bernstorff oder im Projekt Animals of Manchester von Sibylle Peters und dem FT), als auch Formen der Machtübertragung an Kinder und Jugendliche zu erproben, wie im Projekt Kinderwahlbüro (initiiert von Hannah Kowalski am FT), das ein mögliches Wahlrecht für Kinder konkret durchspielt. Forschung mit Kindern und Jugendlichen wird als eine ermächtigende oder emanzipative Praxis verstanden (vgl. Gunsilius/Kowalksi 2021: 12), die die gesellschaftliche Benachteiligung von Kindern und Jugendlichen im Generationenverhältnis und in einer adultistischen Gesellschaft nicht nur sichtbar macht, sondern zu transformieren sucht. Auf diese Weise verbindet sich Forschung im Kinder- und Jugendtheater mit politischen Handlungsfeldern zu Kinderrechten und politischer Partizipation. Das Anliegen der Ermächtigung oder des Empowerments birgt jedoch auch Probleme und Paradoxien in sich, insofern hier paternalistische Strukturen oder Zuschreibungen von Ermächtigten und zu Ermächtigenden reproduziert werden können.
Intergenerationelle Forschung denkt und erforscht Teilhabe daher nicht nur in Bezug auf Kinder und Jugendliche, sondern tut dies ebenso in Bezug auf Erwachsene. Das setzt voraus, das Verhältnis von Kindern und Erwachsenen nicht nur über die Differenz- und Ungleichheitskategorie der Generation zu definieren, sondern ihr Verhältnis in intersektionaler Perspektive in den Blick zu nehmen, in welcher sich Kategorien wie Generation, Geschlecht, Ethnizität, Klasse u.a. überschneiden. In vielen Forschungsprojekten treffen und verbinden sich Kinder und Erwachsene in ihrer Position oder Identität als weibliche Bürger*innen (wie im Projekt Schule der Mädchen von Maike Gunsilius) oder als Bürger*innen, die Rassismus internalisiert haben (wie im Projekt 100 Tage gegen Rassismus von Anne Pretzsch), als Bewohner*innen eines Stadtteils (wie im Projekt Die Kinderbank), als Zugehörige zu sozialen Klassen (wie im Projekt Unterscheidet euch!) oder zur Spezies Mensch (wie im Projekt Animals of Manchester). So ergeben sich neue Allianzen und geteilte Forschungsfragen zwischen Kindern und Erwachsenen an gesellschaftlichen Problemlagen und Ungleichheiten.
Was?
In vielen Forschungsprojekten erzählt sich die Frage, was erforscht wird, über die Frage, als welche Forscher*innen sich die Beteiligten begegnen und gemeinsam handeln. Kinder, Erwachsene und andere Akteure werden zu Urlaubsforscher*innen (im Projekt Urlaubsforschung), zu Zukunftsforscher*innen (im Projekt Junges Institut für Zukunftsforschung), zu Dingforscher*innen zwischen Museum und Alltag (im Projekt Mobile Welten), zu Ahnenforscher*innen in einer postmigrantischen Gesellschaft (im Projekt Spuren.Suchen.Feiern) oder zu Geldforscher*innen (im Projekt Die Kinderbank). Mit der performativen Übernahme dieser Forscher*innen-Rollen werden Forschungsprozesse zu einem gemeinsamen Gegenstand initiiert. Dieser kann auch tatsächlich gegenständlicher oder materieller Art sein, insbesondere beim explorativen Forschen mit den Allerjüngsten, das weniger sprachbasiert funktioniert (vgl. Hinz 2018); der kunstpädagogische Ansatz Ästhetischer Forschung (Kämpf-Janssen 2001) ist hierfür ein Bezugspunkt. Aber auch Forschungen zu Steinen oder zu Essgewohnheiten können mit diskursiven Fragen zu Geschlechterkategorien (im Projekt Ich bin… ein Stein der Fräulein Wunder AG im Rahmen von TUKI-Theater) oder Kategorien wie ‘normal’ und ‘fremd’ verknüpft werden (im Projekt Wie schmeckt das?).
Bereits an dieser kurzen Liste wird deutlich, dass hier zu aktuellen gesellschaftlichen Themen und Fragen des Zusammenlebens geforscht wird, die „man normalerweise von Kindern eher fernhält” (Westphal et al 2022: 15). Dennoch haben sie einen starken Bezug zu den Lebens- und Erfahrungswelten von Kindern und Jugendlichen. Forschung im Kinder- und Jugendtheater, in der Theaterpädagogik und in der zeitgenössischen Performancekunst mischt sich in drängende wie auch verdrängte Fragen des Zusammenlebens in der Gesellschaft ein. Das bedeutet nicht, dass diese Projekte nicht gleichzeitig innovative Theaterformen und -formate hervorbringen können oder jeweils neu definieren, was Theater und Performance alles sein kann. Es handelt sich jedoch vorrangig um ein Forschen mit der Kunst an gesellschaftlichen Problemlagen und ist in diesem Sinne eine Transdisziplinäre Forschung (Krohn 2012), die einen Beitrag zur Entwicklung und Umsetzung einer Problemlösung leisten will.7 Die transformatorische oder aktivistische Dimension performativer Forschung mit Kindern und Jugendlichen hat auch Konsequenzen für die Frage, was die Forschungsergebnisse solcher Prozesse sind. Hervorgebracht wird ein Gestaltungs- oder Handlungswissen (vgl. Scheuerle 2018: 283) im Zuge von Transformationsprozessen, sozialen Erfindungen oder Innovationen, die so – oder so ähnlich – in Strukturen überführt werden könnten (vgl. Peters 2013: 15). Die Forschungsergebnisse werden nicht nur in wissenschaftliche Kontexte überführt, sondern auch an gesellschaftliche Akteure, Öffentlichkeiten oder die Politik adressiert.
Viele Projekte stellen eine Form der szenisch-performativen Zukunftsforschung an einer zukünftigen Gesellschaft dar. Noch nicht so stark vertreten im Praxisfeld sind Projekte, die (dabei) eine Form der historischen Forschung mit Kindern und Jugendlichen betreiben. Im Projekt Wer war Valérie Powles?, initiiert von Anja Steidinger, begeben sich Kinder als Filmteam im Stadtteil Poble Sec in Barcelona auf dokumentarisch-fiktionale Spurensuche nach einer früher dort lebenden Anarchistin und holen so vergessenes oder marginalisiertes Wissen in die Gegenwart bzw. gestalten einen Wissenstransfer zwischen den Generationen.
Zur Frage nach dem was gehört zwangsläufig die Frage, wer die Forschungsfrage stellt oder wie sie gefunden wird. Als ein zentraler, auch umstrittener Punkt in der Praxis des intergenerationellen Forschens geben unterschiedliche Forschungsansätze hierauf unterschiedliche Antworten. So wird bei subjektorientierten Ansätzen wie der Ästhetischen Forschung (vgl. Kämp-Janssen 2021) oder im Kultur.Forscher!-Programm (PWC-Stiftung) betont, dass Kinder ausgehend von Alltagserfahrungen ihre eigene Frage entwickeln sollen, mit der sie sich auf eine forschende ‘Reise’ begeben (vgl. Kultur.Forscher 2013). Das Modell des TUKI Forscher.Theaters beginnt mit Hospitationen der Künstler*innen in der Kita. In einem Wechselspiel aus Beobachtungen des Spiels der Kinder und gesetzten Impulsen durch die Künstler*innen verdichten sich Forschungsfelder und -fragen (vgl. Milbert 2017: 4/5). Das Forschungstheater nennt als wichtigen Ausgangspunkt für Forschungsvorhaben die Wünsche von Kindern. Kollektive Wünsche wie Ich wäre gerne Astronaut werden in Formaten der Wunschproduktion wie „Wünschrunden“ (Peters 2016: 20ff) gesammelt oder in einer kontinuierlichen Praxis mit Kindern gefunden. Das gemeinsame Forschungsfeld von Kindern und Erwachsenen wird als ein Dreieck aus den Wünschen der Kinder, einer diskursiven Frage, die an die Wünsche andockt und künstlerischen Mitteln aufgefasst. Auf diese Weise entsteht ein gemeinsames Forschungsfeld - ein „Unwahrscheinlichkeitsfeld” (Peters 2016: 20) Mit dem Bild des Dreiecks wird deutlich, dass Kinder, Erwachsene und andere Akteure ein gemeinsames Forschungsfeld einrichten und betreten können, aber darin durchaus unterschiedliche Fragen bearbeiten oder aus unterschiedlichen Interessen auf eine Frage zugreifen können. So beschreibt Peters für die Kinderbank, dass sich hier der Wunsch der Kinder, reich zu sein mit der Frage der Künstler*innen, wie alternative Währungen gemacht werden, verbinde (vgl. Peters 2013: 76ff).
Dieses gemeinsame Forschungsfeld ist in vielen Projekten konkret räumlich zu verstehen und meint einen begeh- und erfahrbaren Ort wie beispielsweise einen Stadtteil, das Schulgelände, ein Gerichtsgebäude oder den ländlichen Lebensraum. Kinder und Künstler*innen agieren in solchen raumbezogenen Projekten als Feldforschende, die hybride Formen der Feldforschung zwischen künstlerischer und ethnografischer Praxis betreiben (vgl. Pfeiffer 2018: 165ff). Die Frage nach dem Was der Forschung steht daher in einem engen Zusammenhang mit der Frage nach der Verortung von Forschungsprozessen und Präsentationen, also dem Wo der Forschung.
Wo?
Die Verortung performativer Forschungsvorhaben mit Kindern und Jugendlichen kann zunächst über ihre institutionellen Anbindungen beschrieben werden, über die Institutionen, die für diese Prozesse und Präsentationen Zeiten, Räume und Gelder bereitstellen oder organisieren. Während einige Forschungsansätze vorrangig aus und für den Kontext Schule und Unterricht entwickelt wurden und werden – wie der Ansatz der Ästhetischen Forschung für die Kunstpädagogik (Kämpf-Jansen 2001) oder der Ansatz der künstlerischen Feldforschung für den Theaterunterricht (Pfeiffer 2022 i.E.), sind andere Forschungsformate wie die Winterakademie oder forschende Theaterproduktionen in erster Linie an Theaterinstitutionen angesiedelt. Die Mehrzahl der Forschungsprojekte findet aber in einer Kooperation aus mindestens einer Bildungseinrichtung (Schule, Kita) und einer Kulturinstitution (Theater, Museum) statt. Damit einher gehen Forschungsprozesse, die zwischen diesen Institutionen agieren und Möglichkeiten des Ein- und Austritts und der wechselseitigen Befragung von Räumen, Institutionen und Ordnungen eröffnen. So lassen sich in der Geschichte forschenden Theaters u.a. am Fundus Theater/Forschungstheater zahlreiche Projekte finden, bei denen die Schule selbst zum Forschungsfeld erklärt wird. Das Projekt Soundcheck Schule ist ein Beispiel dafür, wie ein Forschungsprozess Räume der Schule und des Theaters immer wieder neu verknüpft: Der Sound der Schule wird erforscht und in Konzerte im Theater überführt, die jeweils eigene, schulspezifische Aufführungen darstellen. Auch Performances wie Unterscheidet euch! verwandeln das Format Schulvorstellung an einem Kinder- und Jugendtheater (Theater an der Parkaue, Berlin) in ein forschendes Setting. Umgekehrt nehmen Schüler*innen im Rahmen von Forschungsprojekten auch künstlerische Institutionen wie Theater und Museen kritisch in den Blick oder erweitern diese um transkulturelle oder marginalisierte Perspektiven wie das Projekt Mobile Welten am Museum für Kunst und Gewerbe in Hamburg oder das Projekt Echtes Recht am FELD-Theater für junges Publikum in Berlin.8
Viele Projekte verorten sich über diese institutionellen Anbindungen hinaus in der Stadt und/oder in öffentlichen Räumen. Beim Projekt Klasse Kinder! von Ligna bewegen sich Grundschulkinder als Tanz-Bewegungschor, angeleitet über Kopfhörer, im öffentlichen Raum. Kinder an der Schwelle zur Strafmündigkeit erhalten im Projekt Das jüngste Gericht - eine inszenierte Führung durch das Ziviljustizgebäude Zugang zum Amtsgericht Hamburg und führen abschließend durch das Gebäude. Das Projekt Animals of Manchester fragt, wie Tiere und Menschen in der Stadt Manchester zusammenleben und richtet gemeinsam mit Performancekünstler*innen, Kindergruppen und Tieraktivist*innen während des Manchester International Festival in einem städtischen eine alternative Stadt ein, in der Menschen und Tiere gleichberechtigt zusammenleben. Neben diesen Verortungen im urbanen Raum gewinnt in jüngster Zeit der ländliche Raum als Verortung und als Forschungsfeld gleichermaßen an Bedeutung. So ist das Projekt STADT_LAND_KIND von willems&kiderlen im Rahmen der FLUX-Residenzen entstanden, bei denen Künstler*innen mit Schulen in ländlichen Gemeinden und darüber hinaus mit Menschen vor Ort künstlerisch arbeiten. Dabei erschließen sie oftmals neue Handlungsräume und Begegnungs- und Kulturorte im ländlichen Raum (vgl. Sauer 2022: 339). Diese werden auch in ihrer Funktion als Dritte Orte (Forschungsprojekt DO_KIL, Universität Koblenz) diskutiert und wissenschaftlich ausgewertet. Nicht zuletzt sind digitale Räume und Schnittstellen zu nennen, deren Bedeutung für performative Forschungsprozesse und Präsentationen während der Pandemie zugenommen hat. Zu beobachten ist eine verstärkte Hybridität von Vorhaben: Im Projekt schnitt # stellen von gold extra und Iwan Pasuchin entwickeln Medienkünstler*innen und Schulklassen Mixed-Reality-Spiele, die sich sowohl in Live-Settings als auch als digitale Versionen spielen lassen.
Als eine Praxis, die zwischen Feldern und Institutionen agiert, produziert performatives Forschen mit Kindern und Jugendlichen auch permanent neue Räume. In vielen Forschungsprojekten werden temporär Räume eingerichtet oder Institutionen ins Leben gerufen, die gesellschaftlich fehlen (Junges Institut für Zukunftsforschung, Kinderwahlbüro, Animals of Manchester u.a.). Diese alternativen Räume verweisen nicht nur auf das Wo der Forschung und das Was, sondern auch auf das Wie: Sie sind experimentelle Forschungssetups, die gesellschaftliche Transformationen performativ hervorbringen und gleichzeitig untersuchen.
Wie?
Die Vielfältigkeit und Diversität des Feldes der künstlerischen Forschung im Kinder- und Jugendtheater zeigt sich auch in der künstlerischen Gestaltung der Forschungsprozesse und -präsentationen. Hier kommen eine Vielzahl performativer und theatraler Mittel und die unterschiedlichsten Medien und Formate zum Einsatz.
In den Forschungsprozessen werden künstlerische Arbeitsweisen, wissenschaftliche Methoden und auch Alltagspraktiken angewendet, ausprobiert, kombiniert und verändert. Es werden Interviews geführt (Die Schule der Mädchen II startet zum Beispiel mit Fragebögen), Experimente durchgeführt (KAWUMM arbeitet mit verschiedenen Materialien), es wird auf Exkursionen und Erkundungen gegangen (die Urlaubsforschung oder Farewell Farmsen bei Mobile Welten), zusammen etwas gebaut (Reparatur von Gabi dan Droste, Sabine Hilscher, Martin Nachbar) oder gezeichnet (Wer war Valerie Powles?), zusammen gegessen, gekocht oder Rezepte werden miteinander getauscht (Wie schmeckt das? und Spuren.Suchen.Feiern). Dabei kommen künstlerische Verfahren u.a. als Intervention (z.B. mit Mitteln der Instruktionskunst) in oder Dokumentation (mit verschiedenen Medien) von Feldforschung zum Einsatz. In dieser spielerischen Kombination verschiedenster Verfahren, die sinnliche, körperliche und szenische Erfahrungen betonen, geht es auch darum, etablierte Formen der Wissensproduktion in Frage zu stellen.
Ute Pinkert beschreibt in ihrer kurzen Untersuchung der forschenden Theaterpraxis die Arbeit der Künstler*innen als ein „Anleiten von Experimenten“ (Pinkert 2018: 256). Und genau das zeigen viele der Projekte – in Workshops, Laboren, öffentlichen Try-Outs werden Rahmenbedingungen für ein gemeinsames Ausprobieren geschaffen. Die Rolle der Künstler*innen changiert dabei jedoch stets von der der Anleiter*innen zu einer Position, in der auch sie ein gemeinsames Ausprobieren erfahren können. Auch die Kinder können selbst zu Anleiter*innen werden (zum Beispiel im Projekt KAPUTT – Akademie der Zerstörung von Sibylle Peters).
Nach Pinkert geht es dabei unter anderem um eine erfahrungsbasierte Auseinandersetzung“ mit (kultur)wissenschaftlichen Diskursen, und auch die hier vorgestellten Projekte setzen darauf einen Fokus, arbeiten mit sinnlichen Erfahrungen von Materialien (zum Beispiel TUKI ForscherTheater oder Kawumm), mit Positionierungsspielen (Unterscheidet Euch!), dem gemeinsamen Essen (Wie schmeckt das?) oder Zuhören (Soundcheck Schule). Ein Blick auf die verhandelten Forschungsthemen, -fragen und -anlässe zeigt jedoch, dass es nicht nur um das Erfahren, Positionieren, Schmecken und Zuhören geht, sondern um Wünsche nach Veränderung, und dabei auch um ein „Erproben“9: Im Sinne eines performativen Was-wäre-wenn zwischen Realität und Fiktion werden alternative Zukünfte auf Probe (vgl. Plischke 2018), Räume (vgl. „heterotopian zone” bei PABR) und Szenarien nicht nur imaginiert, sondern experimentell in Szene gesetzt und erprobt.
In der Regel gibt es eine Form der Veröffentlichung des Prozesses. Und auch hier zeigt sich eine enorme Vielfalt an Medien und Formaten: Es gibt Performances und Lecture Performances, Installationen, Filme, Ausstellungen, Versammlungen, Konzerte, Audio und Video Walks. Dabei zeigt sich oft eine enge Verzahnung von Prozess und Präsentation, es geht nicht einfach um die Darstellung von Forschungsergebnissen oder einen Rückblick auf den Forschungsprozess, sondern um eine Öffnung eben dieses Prozesses. Die Präsentationen selbst werden oft als „offen“ bezeichnet (vgl. Scheurle 2018: 282), ihnen wird ein Werkstattcharakter zugeschrieben, Pinkert spricht von „andere(N) Dramaturgien für die Präsentation“ (Pinkert 2018: 258). Alle diese Beschreibungen rahmen die Präsentationen als nicht fertige Werke, und betonen stattdessen das Offene, Unterbrochene, Prozesshafte, Unabgeschlossene, das in diesem Sinne dann auch das anwesende Publikum adressiert und involviert. Fast alle Projektpräsentationen enthalten interaktive Momente, oftmals auch Instruktionen zur Weiterführung oder zum Nachmachen (zum Beispiel die Urlaubsforschung).
Dabei wird das Theater nicht nur als Darstellungsform genutzt, sondern auch explizit als eine Form der Versammlung (vgl. Scheurle 2018, Gunsilius 2022): Alle an dem Prozess Beteiligten versammeln sich (die Versammlung kann dabei auch für andere zugänglich sein, zum Beispiel im Fall einer öffentlichen Veranstaltung im Theater). Oftmals ist das Publikum auf eine gewisse Art und Weise zusammengesetzt oder speziell eingeladen, so dass sich zum Beispiel Erwachsene und Kinder begegnen können (bei der Schule der Mädchen II beispielsweise gibt es hierzu persönliche Einladungen) oder Menschen, die aus unterschiedlichen sozialen Verhältnissen kommen (Unterscheidet Euch!). Und so nutzen einige Projekte dieses Versammlungssetup ganz explizit, um unwahrscheinliche Versammlungen einzuberufen und das heißt wiederum auch, um andere Öffentlichkeiten und Begegnungsformate zu erproben (die “improbable assembly” ist eines der neun Forschungsformate von PABR).
Eine Sammlung und Aufarbeitung der verwendeten Verfahren, in allen ihren Kombinationen, wie sie z.B. in der Darstellung der Projekte auf dieser Webseite versucht wird, ermöglicht die Entwicklung eines Repertoires, auf das Forschungsprojekte im Kinder- und Jugendtheater zurückgreifen und verweisen können, auch im Sinne einer Weiterentwicklung über die einzelnen Projekte hinaus.
Wann?
Die Dauer der Forschungsprojekte kann tatsächlich sehr stark variieren, von mehrjährigen Forschungsprozessen bis hin zu einzelnen Performances/Forschungsversammlungen ist hier alles möglich. Oft werden langfristige Forschungsprozesse von Kooperationen zwischen verschiedenen Institutionen getragen – von Schulen, Universitäten und Kultureinrichtungen (schnitt#stellen (2018-2022) beispielsweise war eine Kooperation eines Künstler*innenkollektivs, einer Universität und einer Mittelschule, Mobile Welten (2015-2018) ein Verbundprojekt einer Stadtteilschule, eines Museums und zweier Universitäten). Oder die Forschungsprojekte werden im Rahmen von Residenzen entwickelt (willems & kiderlen beispielsweise arbeiteten an DIE LAUTERTAL PROTOKOLLE über eine dreijährige FLUX Residenz (2018-2021), ein künstlerisches generationenübergreifendes Residenzprogramm, entwickelt speziell für den ländlichen Raum in Hessen). Die Graduiertenkollegs Versammlung und Teilhabe und Performing Citizenship erlauben dreijährige Forschungsarbeiten in Form einer künstlerisch-wissenschaftlichen Promotion (entstanden sind hier beispielsweise Junges Institut für Zukunftsforschung, Das jüngste Gericht und Die Schule der Mädchen II).
Diese langjährigen Prozesse manifestieren sich oft in unterschiedlichen Projekten und Präsentationsformen, und so auch die oben genannten: schnitt#stellen entwickelt mehrere hybride Spiele, Mobile Welten besteht aus verschiedenen Beiträgen zu einer Ausstellung sowie einer performativen Bustour und DIE LAUTERTAL PROTOKOLLE umfasst unterschiedliche Projekte von Audio Walk über Lecture bis Film. Diese Manifestationen und Projekte bauen manchmal aufeinander auf oder entwickeln sich nach Erkenntnissen der vorherigen, beleuchten jeweils unterschiedliche Unterpunkte einer Fragestellung oder setzen andere Akzente. Die Forschungsarbeit kann sich hier in einer Vielzahl von Medien und Präsentationsformen ausdifferenzieren, die Fragen und Themen können weit gesetzt sein oder es können verschiedene Aspekte einer Fragestellung beleuchtet werden.
Mit Projektgeldern im Bereich der Kulturförderung dagegen sind so langfristige Prozesse in der Regel nicht möglich. Die Forschungsfragen werden pointiert und zugespitzt zum Beispiel in forschenden Versammlungen öffentlich verhandelt. Zu nennen wären hier Unterscheidet Euch! von Turbo Pascal oder Die Konferenz der wesentlichen Dinge von pulk fiktion. In spielerischen interaktiven Aufführungsformaten kommen verschiedene Perspektiven auf und Erfahrungen mit dem Forschungsthema zur Sprache, und das Publikum ist dementsprechend zusammengesetzt: Bei Die Konferenz der wesentlichen Dinge verhandeln Erwachsene und Kinder ihr Zusammenleben, bei Unterscheidet Euch! treffen verschiedene Klassen (im doppelten Sinne: die Schulklassen kommen aus sehr unterschiedlichen Stadtteilen) aufeinander. Selbstverständlich findet die Forschung hier nicht ausschließlich in diesen Aufführungssettings statt – die Versammlungssetups selbst sind das Ergebnis mehrwöchiger Proben- und Forschungsprozesse, in die wiederum auch Kinder und Jugendliche mit einbezogen werden können. Aber das Augenmerk der öffentlichen Verhandlung, der Kollaboration zwischen Erwachsenen und Kindern liegt in den forschenden Versammlungen, die dann auch auf Wiederholbarkeit angelegt sind, auch wenn durch das Element der Interaktion und Partizipation jede Aufführung anders ist.
Während mehrjährige Forschungskooperationen und forschende Versammlungen zwei unterschiedliche Enden des Spektrums darstellen, dauern andere Forschungsprojekte zwischen mehreren Wochen und Monaten. Oftmals handelt es sich hier um kollaborative Workshopsettings, die mit einer Vielzahl von Medien und Formaten arbeiten (zum Beispiel Wie schmeckt das?), von einem Stück ausgehen (zum Beispiel Spuren.Suchen.Feiern. von Auf den Spuren von…Reise durch die europäische Migrationsgeschichte) oder Teil eines Probenprozesses sind (zum Beispiel Reparatur).
Diese unterschiedliche Dauer der Forschungsprozesse berührt, neben der schon erwähnten Unterschiede, auch die Aufarbeitung und Auswertung der Forschung sowie die Zusammenarbeit zwischen Erwachsenen und Kindern/Jugendlichen. Während die langjährigen Prozesse oftmals verschiedene Gruppen von Kindern und Jugendlichen involvieren, können sie auch zu einer langen Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern/Jugendlichen führen (schnitt#stellen arbeitet jeweils über ein ganzes Jahr mit den Schüler*innen zusammen, die Dingforscher*innen bei Mobile Welten bleiben über drei Jahre in das Projekt involviert). Die Arbeit an diesen Beziehungen und die Zeit, die in diese hineinfließt, ist nicht zu unterschätzen.
Ob kurz oder lang – in allen Forschungsprojekten sind die Erwachsenen in der Regel länger involviert als die Kinder und Jugendlichen. Grundsätzlich sind es die Erwachsenen, die die Forschungsprojekte von Anfang bis zum Ende durchführen, von der Initiierung/Antragsstellung bis zur Auswertung/Dokumentation. Sie öffnen den Forschungsprozess für Kinder und Jugendliche an bestimmten Stellen im Verlauf der Projekte – zu Beginn, während oder auch gegen Ende der Prozesse.
Während diese längere Involviertheit der Erwachsenen auf der einen Seite ein Machtverhältnis mit sich bringt (die Erwachsenen steuern den Prozess ganz einfach über einen längeren Zeitraum), zeigt sich hier auch die Verantwortung, die sie für den Prozess tragen. Die Expertise der Erwachsenen liegt in solchen Projekten oftmals genau in der langfristigen Gestaltung der Forschungsprozesse, die immer wieder die Beteiligung und Perspektive anderer ermöglichen beziehungsweise auch benötigen. Dies bedeutet auch, dass das „Forschen aller“ zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Forschungsprozesses eben nicht immer alle meint.
Dies betrifft in der Regel insbesondere die Konzeption als auch die Auswertung der Prozesse als zwei Momente, die primär von den Erwachsenen gesteuert werden. Immer wieder gibt es Versuche, in beide Momente die Kinder und Jugendlichen zu involvieren. Es wurde schon beschrieben, wie in der Entwicklung der Forschungsfragen Wünsche, Bedürfnisse und Interessen der Kinder und Jugendlichen berücksichtigt werden beziehungsweise diese überhaupt erst auf dieser Basis entwickelt werden. Viele Dokumentationen zielen darauf ab, die Perspektive der Kinder und Jugendlichen darzustellen und sie zu Wort kommen zu lassen. In einigen Fällen gestalten sie die Dokumentation aktiv mit (zum Beispiel bei Wer war Valerie Powles?).
Doch anschließende reflektierende Texte werden ausschließlich von Erwachsenen geschrieben (wie zum Beispiel dieser hier). Forschung im Kinder- und Jugendtheater findet – wie schon dargestellt – an vielen Schnittstellen statt, partizipiert an verschiedenen Kontexten. Wenn jetzt die Erwachsenen über die künstlerischen Forschungsprojekte schreiben, tun sie dieses in der Regel für einen für sie bedeutsamen Kontext, der wiederum für die Kinder und Jugendlichen in der Regel uninteressant ist. Wenn es über das Wann? der Forschung geht, geht es auch um ein danach. Und da stellt sich dann doch die Frage, wie die Forschungsprozesse auch außerhalb eines etablierten wissenschaftlichen Diskurses, außerhalb eines Schreibens, für andere Kontexte aufgearbeitet werden können und wie möglichst viele an dieser Auf- und Ausarbeitung teilhaben können.
Und?
Der Überblick über performatives Forschen mit Kindern und Jugendlichen entlang der Fragen Wer, Warum, Was, Wo, Wie und Wann stellt die Gestaltung dieser Forschungsprozesse dar, insbesondere mit Blick auf (infra-)strukturelle Aspekte. In der Vielfalt der Projekte, in denen diese sechs Fragen oftmals sehr unterschiedlich und individuell beantwortet werden, zeichnen sich jedoch ein gemeinsames Praxisfeld und gemeinsame Anliegen ab. Das Anliegen von gesellschaftlicher Teilhabe und Transformation, das in der Herstellung transgenerationeller Kollaborationen ein Desiderat und eine Notwendigkeit sieht, um dieses Anliegen umzusetzen, weist über die Logik einzelner Projekte hinaus. Auch strukturelle Problemfelder des Forschens mit Kindern und Jugendlichen, die sich beispielsweise in der unterschiedlichen zeitlichen Involviertheit von Kindern und Erwachsenen zeigen, liegen oftmals in dem Projektsetup selbst begründet. Es stellt sich daher die Frage, wie die performative Forschung im Kinder- und Jugendtheater über Einzelprojekte hinaus gestärkt und Strukturen geschaffen werden können, die jenseits von Projektlogiken aus Theater, Wissenschaft und Bildung liegen. Hierfür wären (geförderte) Strukturen der Vernetzung der Beteiligten der Forschung ebenso notwendig wie kontinuierliche Programmschwerpunkte für Forschung mit Kindern und Jugendlichen an Theatern oder im Rahmen von Förderprogrammen.
Geförderte Strukturen der Vernetzung für forschende Künstler*innen und andere Beteiligte von Forschungsprojekten machen einen Austausch über Forschungsthemen, -praktiken und -ergebnisse möglich. Hierfür sind die Forschungswerkstätten am FT/Forschungstheater, das Netzwerk für Forschung im KJT mit einer Webplattform und gemeinsamen Veranstaltungen oder auch das Netzwerk der FLUX_Residenzen mit gemeinsamen Fortbildungen ein Anfang. Potentiale einer stärkeren Vernetzung der Akteur*innen im Feld sind ein Vergleich und eine stärkere Sichtbarmachung von Forschungsergebnissen, gerade bei ähnlichen Themenfeldern in voneinander unabhängigen Einzelprojekten. Auch die gemeinsame Setzung von Themenfeldern und Forschungsreihen, die dann an unterschiedlichen Orten durchgeführt werden, wäre im Kontext stärkerer Vernetzung denkbar, ebenso wie ein Tausch oder eine Weitergabe von Forschungssetups, z.B. die Eröffnung neuer Kinderbanken oder jüngster Gerichte, die Erfindung neuer Urlaubs-Formate o.ä. Gerade für solche Wiederholungen fehlen in der Regel sowohl in der Kunst als auch der Wissenschaft Gelder.10
Ein wichtiger Schritt ist es, Formen der Vernetzung dabei für alle Beteiligten der Forschung zu öffnen, damit die Initiation und Aufarbeitung von Projekten nicht ausschließlich von Künstler*innen oder Wissenschaftler*innen betrieben wird. Hierfür können Zeiten und Freiräume des Kontakts und des Beziehungsaufbaus von Kindern, Künstler*innen aber auch Erzieher*innen, Lehrer*innen oder anderen Partner*innen auch außerhalb der Projekte eine zentrale Voraussetzung sein.11 Modelle für kontinuierliche Formen der Zusammenarbeit sind zudem die strukturelle Einbindung von Kindern und Jugendlichen an Theatern über Kinder-Beiräte oder als Theaterberater*innen oder auch die längerfristige Verortung von Künstler*innen in Schulen, anderen sozialen Einrichtungen oder Institutionen über Residenzen.
Die Einrichtung fester Programm- oder Fördersparten für Forschung an Theatern oder im Rahmen von Förderlandschaften ist darüber hinaus ein Ziel, weil es eine andere Sichtbarmachung und Rahmung von Prozessen und Präsentationen ermöglicht. So stellt sich vielen Akteur*innen immer wieder die Frage, wie forschende Präsentationen eine andere Rahmung als die einer Theatervorstellungen erfahren können, die auch für das Publikum lesbar ist oder die andere Öffentlichkeiten adressiert und hervorbringt. Auch um ein breites Spektrum an Formen und Formaten der Präsentationen zu erhalten und zu stärken, wären feste Forschungssparten oder -programme eine geeignete Struktur, die diese Vielfalt in einen gemeinsamen Zusammenhang einbettet.
Solche strukturellen Veränderungen des performativen Forschens mit Kindern und Jugendlichen, die über Projektlogiken hinausweisen, zielen nicht auf eine stärkere Vernetzung zur Forschung über diese Projekte, sondern um eine Verstetigung und Stärkung der Forschung eben durch diese Projekte, gemeinsam mit allen Beteiligten.
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1 Keine Bestandsaufnahme funktioniert ohne einen Hinweis auf ihre eigene Beschränktheit und so sei auch an dieser Stelle angemerkt, dass dieser Text sich vornehmlich auf Deutschland bzw. den deutschsprachigen Raum fokussiert. Dies ist einerseits der geographischen Situierung dieses Netzwerks geschuldet, liegt aber auch daran, dass Kinderkultur in einem internationalen kulturellen Diskurs in der Regel nicht vorkommt (vgl. Peters 2022: 292). Denn bei aller Aufwertung von Kollaborationen mit Kindern im zeitgenössischen Theater und Performance (Westphal et al 2022: 14), führt Kinder- und Jugendkultur insgesamt noch immer ein Nischendasein.
2 In diesem Zusammenhang stellt sich die Frage, ob nur solche Projekte als Forschung gelten, die sich selbst explizit als solche deklarieren, oder ob auch künstlerische Projekte nachträglich als Forschung oder als forschend beschrieben werden können.
3 Viele der erwachsenen Forscher*innen in diesen Projekten arbeiten nicht nur als freischaffende Künstler*innen, sondern auch als Lehrende an Hochschulen und Universitäten. Der Diskurs über die künstlerische Forschung mit Kindern und Jugendlichen, zum Beispiel im Bereich der Theaterpädagogik, ist demnach auch von den Macher*innen dieser Projekte geprägt.
4 In der Geschichte Freien Theaters in Deutschland (vgl. Fülle 2012) entstehen Gruppen und Spielorte als Labore für alternative Theaterformen wie auch alternative Zielgruppen.
5 Ob Ergebnisoffenheit bedeutet, möglichst wenig Setzungen zu Beginn eines Prozesses zu machen oder ob gerade auch Setzungen und Forschungssetups, die von Künstler*innen eingerichtet werden, gezielte Handlungs- und Entscheidungsräume für Kinder und Jugendliche eröffnen, ist ein häufiger Diskussionspunkt in der Praxis.
6 Pinkert beschreibt, dass hier „in affirmativer Weise an welterschliessende Praktiken von Kindern angeknüpft “ wird. (Pinkert 2018: ) Es stellt sich die Frage, inwiefern das 'forschende Kind' ein Kindheitsbild ist, das ebenso wie andere existierende Kindheitsbilder in intergenerationellen Projekten auch zur Disposition gestellt werden kann.
7 Bei aktivistischen Anliegen und Konzepten gerät immer auch die Frage nach der politischen Haltung und Positionierung der erwachsenen Künstler*innen und ihrer Steuerung in den Fokus. Welche und wessen gesellschaftliche Veränderungswünsche in den Projekten und Ergebnissen zum Ausdruck kommen ist Gegenstand von Reflektionen. So beschreibt Gunsilius, wie Schwierigkeiten in Forschungsprozessen oftmals mit unterschiedlichen Veränderungswünschen oder Vorannahmen in Bezug auf Ermächtigung zu tun haben. Solche Schwierigkeiten zu analysieren kann wiederum erkenntnisleitend sein (vgl. Gunsilius/Kowalski 2021:17 )
8 Während diese kritische Institutionenforschung in Museen im Bereich Vermittlung bereits eine längere Tradition hat, vermehren sich an Theatern in jüngster Zeit Projekte, in denen Kinder und Jugendliche beispielsweise beratend tätig sind.
9 Pinkert spricht dagegen mehr von einem „Suchen“ als einem „Erproben“, meint dies jedoch in Bezug auf eine theatrale Umsetzung der Forschung (vgl. Pinkert 2018: 256).
10 In ähnlichen Weiser macht van Eikels einen konkreten Vorschlag für den Kontext künstlerischer Forschung: “Abschließend sei darüber hinaus ein neues Format vorgeschlagen, das die bisherigen projekt- und personenbezogenen Grundförderungen ergänzen kann: das Netzwerk Künstlerische Forschung. Mehrere künstlerisch arbeitende Gruppen und/oder Einzelpersonen stellen gemeinsam einen Antrag für ein größeres, auf ca. vier bis sechs Jahre angelegtes Vorhaben. Sie machen deutlich, wie sie sich in ihrer Arbeit aufeinander beziehen wollen, indem sie etwa füreinander zu Rezipierenden werden, die mit dem, was die anderen erarbeiten, jeweils weiterarbeiten, sodass ein über mehrere Stationen laufender Forschungsprozess entsteht, nicht lediglich ein Projekt, das sich in der abschließenden Präsentation erschöpft. Es soll daher ein Arbeiten in zeitlich versetzten, aneinander anschließenden Phasen möglich sein und ein großer Spielraum bzgl. der Präsentation von (Zwischen )Ergebnissen gewährt werden. Zu den Antragspartner*innen des Netzwerks können neben den Künstler*innen, die die Mehrheit bilden sollen, Wissenschaftler*innen oder Vertreter*innen anderer Praxisfelder zählen, die einen Bezug zum Forschungsanliegen haben. Institutionen wie Spielhäuser, Kunsthochschulen, universitäre und andere Forschungsinstitute können (auch mit Finanzierungsanteilen) eingebunden werden, sofern sie den Prozess nicht kontrollieren bzw. dessen Resultate exklusiv abschöpfen. Kooperation und Dokumentation sollten nach Commons-Prinzipien erfolgen.” (van Eikels et al 2022: 34)
11 In der Aktion Halle von pulk fiktion (2022) wird genau diesem Bedarf, insbesondere nach den Kontaktbeschränkungen der Pandemie, nachgegangen. In einer leeren Reithalle wird über mehrere Wochen ein Freiraum eröffnet, in dem Kinder und Mitwirkende des Kollektivs Zeit verbringen und gemeinsam Dinge tun können (kochen, Musik machen, bauen) (vgl. https://www.pulk-fiktion.de/3- wochen-hallepulk/, letzter Zugriff 11.01.23).
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