How to Perform Research: Performative Forschungsprojekte mit Kindern

Von Sibylle Peters

1. Wunschproduktion: Ein Forschungsprojekt entwickeln

Forschen ist ganz einfach. Wir alle tun es, und Kinder sowieso: Wir wollen etwas, wir wollen zum Beispiel etwas können, erleben, uns einverleiben, haben, erreichen – und so versuchen wir es eben. Meistens klappt es nicht beim ersten Mal. Also versuchen wir es noch mal, und wieder klappt es nicht, und dann noch mal, ein bisschen anders als vorher, und da funktioniert es fast schon, also noch einmal ein bisschen anders, und, huch, was ist denn jetzt passiert? So starten wir Testreihen, bleiben dran und lassen uns nicht zu schnell enttäuschen. Und damit hat die Forschung schon begonnen. In ihrer frühen Forschung haben Kinder oft erstaunliche Erfolgserlebnisse: Tatsächlich – es gelingt ihnen zu stehen, zu gehen, zu sprechen, zu malen; kein Wunder, dass viele von ihnen für einige Zeit alles für möglich halten: Wenn man sprechen lernen kann, warum dann nicht zaubern oder fliegen? Und in der Tat haben die Menschen ja viele auf den ersten Blick magische Dinge zu tun gelernt, und Fliegen können wir mittlerweile auch. Nur haben wir das nicht allein erreicht, sondern gemeinsam mit anderen, in komplexen Konstellationen von Menschen und Dingen. Doch statt in dieses gemeinsame Forschen hineinzuwachsen, lernen Kinder und Jugendliche häufig zunaächst etwas ganz anderes: Nämlich dass sie bestimmte Dinge lernen müssen, ganz unabhängig von ihrem Wünschen und Wollen. Und auch dass bestimmte Wünsche in Erfüllung gehen können und andere eben nicht, jedenfalls nicht für sie, und dass es vorgeschriebene Wege gibt, die zu beschreiten sind, um sich die realistischeren Wünsche zu erfüllen. Wege, die meist mit jahrelangem Lernen verbunden sind. So unvermeidlich diese Erfahrungen sein mögen, für den ursprünglichen Forschungssinn sind sie nicht gut. Oft verkümmert er, und dann greift eine gesellschaftliche Arbeitsteilung: Forschung wird etwas, das sich nur noch wenige leisten können. Nur noch die, die zur Uni gehen, können am Ende Forscher_innen werden. ›Forschungstheater‹ zu machen heißt, die Mittel des Theaters und der Performance zu nutzen, um den ursprünglichen Forschungssinn, der von unserem Wünschen und Wollen geleitet wird, wachzuhalten und vom individuellen Forschen spielerisch zum gemeinsamen Forschen überzugehen. Dabei gehören Forschungssinn und Möglichkeitssinn zusammen: Nur wenn man es weiterhin für möglich hält, dass was man sich wünscht Wirklichkeit werden kann, wird man weiterforschen. Forschungstheater beginnt daher immer mit den Wünschen der Beteiligten. Egal wie alt sie sind. Wunschproduktion nennen wir das. Auf den ersten Blick scheint es so leicht, sich etwas zu wünschen, doch tatsächlich müssen wir unsere Wunschenergie oft erst in Gang bringen. Seit Langem machen wir im Forschungstheater sogenannte Wunschrunden mit Menschen aller Altersgruppen. Mit Erwachsenen haben sie oft das gleiche Ergebnis: Mehr Zeit, Gesundheit, eine glückliche Familie, Reisen, Gerechtigkeit, Frieden. Nichts gegen diese Wünsche! Es ist wahrlich schwer genug, sie zu erfüllen. Allerdings: Mit Kindern sind Wunschrunden doch oft interessanter.

Oft sind es nicht nur die Kinder, die von gemeinsamen Forschungsprojekten profitieren. Gerade Erwachsene haben es oft nötig, ihre Wunschenergie, ihren Forschungssinn und Möglichkeitssinn wieder zu stärken. Hier ein paar Wünsche von Kindern zwischen sieben und elf Jahren, aus denen im Forschungstheater in den letzten Jahren Forschungsprojekte entstanden sind oder gerade entstehen:

Ich will Erfinderin sein und dass all meine Erfindungen funktionieren. Vielleicht ein Gespenst treffen? Ich wünsche mir eine Zeitmaschine. Ich will ein Pirat sein.

Ich will reich werden. Ich will fliegen können. Ich möchte einmal ein richtiges Wunder erleben. Ich will ein Astronaut sein und im Weltall wohnen. Ich möchte Königin sein. Ich möchte mit Tieren sprechen können.

Kinder können also oft besser wünschen als Erwachsene. Dafür sind Erwachsene stärker gefragt, wenn es darum geht zu entscheiden, welcher Wunsch sich für ein gemeinsames Forschungsprojekt eignet. Denn dafür müssen verschiedene Bedingungen erfüllt sein: Der Wunsch sollte groß und stark sein und von vielen geteilt werden (»Oh-ja-Effekt«). Der Wunsch sollte nicht ohne Weiteres zu erfüllen sein. Im Forschungstheater sprechen wir an dieser Stelle von dem Unwahrscheinlichkeitsfeld, das ein Wunsch generiert. Um den Wunsch »Ich möchte die neue Playstation haben« zu erfüllen, braucht man nicht unbedingt ein Forschungsprojekt. Anders ist es mit dem Wunsch »Ich möchte mit Tieren sprechen können«. Allerdings gilt es, immer auch den Kontext zu beachten: Wenn in einer Gruppe der Wunsch nach elektronischen Geräten sehr stark ist und zugleich die Kaufkraft der Familien besonders schwach, kann ein Forschungsprojekt durchaus mit dem Vorhaben beginnen, selbst eine Playstation zu bauen. In den Projekten des Forschungstheaters sollen Kinder, Künstler_innen und Wissenschaftler_innen gemeinsam forschen können. Um das zu ermöglichen, arbeiten wir in unserer Projektentwicklung mit dem Wunschdreieck. Auch hierbei ist der Wunsch der Ausgangspunkt und gleichzeitig der Punkt des Dreiecks, von dem aus die Kinder in den Prozess einsteigen. Der zweite Eckpunkt des Dreiecks steht für den Ausgangspunkt der Künstler_innen. Ihre Aufgabe ist es, eine Idee dafür zu entwickeln, wie sich der Wunsch mit Mitteln der Kunst im weitesten Sinne möglicherweise verwirklichen lässt. Dazu gehören natürlich künstlerische Mittel zur Gestaltung von Wirklichkeit, wie beispielsweise experimentelle künstlerische Praktiken, Kostümierung, Rollenspiel und performative Interventionen. Dazu gehören aber auch Mittel des Handwerks, der Technik und nicht zuletzt die Ressourcen der Institution Kunst: Versammlungsräume, Zeit, Geld, gesellschaftliche Verbindungen, Öffentlichkeiten et cetera.

Der dritte Eckpunkt im Dreieck steht für den Ausgangspunkt des Wissens. Hier geht es um Diskurs und Wissensproduktion: Welche Forschungsfrage lässt sich mit dem Wunsch verbinden? Welche Expertisen gibt es, möglicherweise in der Wissenschaft, in der Forschung, die uns bei der Verwirklichung des Wunsches helfen können?

Damit aus einem Wunsch ein Forschungsprojekt werden kann, sollten idealerweise alle Punkte eines Wunschdreiecks gefüllt werden. Ein Beispiel:

Ich will Astronaut werden und im Weltall wohnen.

Zunächst schien uns dieser Kinderwunsch einer von denen zu sein, die nur für die wenigsten in Erfüllung gehen: Einer von denen da oben werden und bei den Stars und Sternen wohnen. Na klar. Nur: Aus Deutschland haben es bisher nicht mehr als drei Personen ins Weltall geschafft, und das erst nach erfolgreichem Doppelstudium, militärischer Ausbildung und intensiven Jahren des Trainings. Einen Ansatz, um aus diesem Wunsch ein Forschungsprojekt zu machen, fanden wir, als wir uns mit den Texten und Erfindungen von Richard Buckminster Fuller beschäftigten. Sein Konzept von der Erde als Raumschiff war Inspiration für eine ganze Generation von Künstler_innen und Forscher_innen, die in den Aufnahmen der Apollo- Mondfahrer die Erde zum ersten Mal von Weitem sahen. Sie hatten ein neues Bild von unserem Heimatplaneten im Kopf, wie er da so durch die unendliche Nacht schwebt, in seiner Schönheit, Einzigartigkeit und Verletzlichkeit. Die Forschungsfrage, die sich damit verbindet, lautet: Wie können wir unsere Alltagserfahrung so verändern, dass wir die Erde tatsächlich als Raumschiff erleben und unser Dasein als Reise durch das All?

Hier konnte die künstlerische Expertise einsetzen: Wir bauten eine Raumstation für den Schulhof, in der wir mit Schüler_innen das Astronautsein auf der Erde trainieren konnten. Dafür wurden zum Beispiel Audioguides entwickelt, um mit der Schwerkraft zu experimentieren. Wunsch, Diskurs und künstlerische Mittel – alle Punkte des Dreiecks waren besetzt.

Von einem Wunsch zu einem Wunschdreieck bzw. von einer Wunschrunde zu einem ersten Konzept für ein Forschungsprojekt zu kommen, ist Aufgabe der erwachsenen Projektbeteiligten. Hier braucht man Inspiration und auch ein bisschen Glück. Zwischen Wunschrunde und Projektstart sollte man sich Zeit nehmen. Man sollte diskursive Hintergründe und künstlerische Möglichkeiten recherchieren und reflektieren, bevor man sich für ein Forschungssetup entscheidet.

Häufige Schwierigkeiten bzw. warum ein gutes Forschungssetup so wichtig ist:

Viele künstlerische Forschungsprojekte mit Kindern und Jugendlichen laufen Gefahr zu scheitern, weil sie schon im Projekteinstieg zwei weit verbreitete und sehr verständliche Fehler machen:

a) Forschungsprojekte setzen oft zu sehr auf Neugier. Natürlich sind alle Forscher_innen und alle Kinder neugierig. Neugier ist ein ganz wichtiges Gefühl in Forschungsprozessen. Sie ist jedoch weniger nachhaltig, als man denken könnte: Stößt man in einem Forschungsprozess auf ein Problem, gerät der Prozess in eine Krise (und das geschieht früher oder später zwangsläufig), kann Neugier schnell versiegen. Es ist schwierig bis unmöglich, reine Neugier, die einmal eingeschlafen ist, neu zu erwecken. Basiert ein gemeinsames Forschungsprojekt stattdessen jedoch auf einem starken gemeinsamen Wunsch, so übersteht der Prozess auch eine Krise. Denn wir alle sind das gewohnt: Wünsche zu erfüllen, das geht eben nicht einfach so, da muss man es eben noch mal probieren und noch mal anders versuchen.

b) Forschungsprojekte sind oft zu offen: Gerade Menschen mit einer künstlerischen Ader verwechseln Forschung oft mit umherschweifender Offenheit. In der Tat ist ein Forschungsprojekt etwas anderes als beispielsweise die lineare Umsetzung eines Stücktextes in eine Produktion für die Bühne. Dennoch oder gerade deshalb gilt es, ein Forschungsprojekt nicht als einen vollkommen offenen Prozess des Suchens, sondern als eine Performance zu begreifen, die man gemeinsam inszeniert, erprobt und erspielt, während man vorangeht. Damit Schüler_innen in einem Forschungsprojekt selbstständig agieren und kreativ sein können, muss der konzeptionelle Rahmen klar abgesteckt sein. Wissenschaftler_innen haben dies meist schon gelernt: Forschung braucht Setzungen, braucht ein klares Vorhaben, eine klare Frage und einen Baukasten von Mitteln und sozialen Konstellationen, in denen sie stattfinden kann und soll.

2. Das performative Rollenspiel im Unwahrscheinlichkeitsfeld

Hat man ein Forschungssetup entwickelt, sind alle Eckpunkte eines Wunschdreiecks besetzt, dann erstreckt sich zwischen ihnen das, was wir das Unwahrscheinlichkeitsfeld nennen: Durch die Zusammenarbeit von Kindern (Wunschenergie) und Erwachsenen (Diskurswissen und künstlerische Mittel) scheint hier etwas möglich zu sein, das vorher unmöglich schien. Der Forschungsprozess beginnt nun damit, diese Möglichkeit als etwas Wirkliches zu erleben. Ein gutes Mittel dafür und zugleich ein einfacher Einstieg in den szenischen Forschungsprozess ist das performative Rollenspiel. Ein Beispiel:

Ich möchte mal ein richtiges Wunder erleben.

Von diesem Kinderwunsch ausgehend beschäftigten wir uns mit der Geschichte der Wundersammlungen in der frühen Neuzeit. Damals – vor Etablierung der modernen Wissenschaften und ihrer Trennung von Natur- und Kulturwissenschaft – sammelten Gelehrte Dinge, die ihnen wundersam erschienen, in sogenannten Cabinets of Wonder. Die Haltung der damaligen Wundersucher und -sammler schien uns nachahmenswert: Statt auf ein Wunder zu warten, durchstreiften sie die Welt auf der Suche nach dem Außerordentlichen. Und wurden fündig. Was würden wir heute, mit der gleichen Haltung, als außerordentlich und wunderbar klassifizieren? Das Projekt Die Wundersuche begann daher mit dem Einnehmen dieser Haltung: Alle Projektbeteiligten, Kinder und Erwachsene, verwandelten sich in Wundersucher_innen. Der Forschungsprozess konnte daher von der Gestaltung dieser Rollen seinen Ausgang nehmen: Was macht eine gute Wundersucher_in aus? Wie müssen wir unsere Wahrnehmung verändern, um Wunder zu suchen? Welche Ausrüstung braucht eine Wundersucherin? Wie geht ein Wundersucher vor? Wundersucher_in zu werden ist ein performatives Rollenspiel. Anders als bei der Übernahme einer Rolle aus einem Bühnentext ist diese Rolle nicht fiktiv, sondern wirklich. Eine performative Rolle einzunehmen hat also nicht den Charakter des Theaterspielens. Statt wie im traditionellen Bühnengeschehen eine Fiktion möglichst authentisch zu verkörpern, wirkt ein solches Forschungsfeld auf den ersten Blick wie eine Fiktion, erweist sich dann aber doch als Teil des Wirklichen. Wir werden wirklich zu Wundersucher_innen, ebenso wie wir wirklich zu Astronaut_innen auf dem Raumschiff Erde werden. Es handelt sich eher um Rollen, wie wir sie auch im Alltag einnehmen: In der Familie, in der Schule, in der Nachbarschaft et cetera. Natürlich sind die neuen Rollen zugleich ›unwahrscheinliche Rollen‹. Und damit stehen sie immer auch in Konkurrenz zu unseren anderen alltäglichen Rollen. Das performative Rollenspiel braucht deshalb eine besondere Aufmerksamkeit, einen besonderen Rahmen und viele gute Ideen für die Verkörperung, damit es als wirklich erfahren werden kann und von den anderen alltäglichen Rollen nicht überlagert wird. Kinder sind gute Kompliz_innen für die Entwicklung eines solchen Rollenspiels, denn sie sind darin geübt, spielerisch Rollen einzunehmen. Das performative Rollenspiel mit echtem Leben zu erfüllen, ist ein großer Schritt im performativen Forschungsprozess, denn es bringt zwei entscheidende Vorteile mit sich:

a) Indem sich alle Projektbeteiligten in Wundersucher_innen oder Erdastronaut_innen verwandeln, können sich Kinder und Erwachsene auf Augenhöhe begegnen. Erst ihre Zusammenarbeit hat die Erfindung der neuen Rollen möglich gemacht. In der neuen Rolle kann man daher viel gleichberechtigter agieren als vorher. Mit den neuen Rollen können und sollten sich also auch neue Regeln im Umgang miteinander verbinden. Denn ein Forschungsprojekt im Unwahrscheinlichkeitsfeld hat seine eigenen Regeln. Ein regelfreier Raum ist es nicht!

b) Durch das performative Rollenspiel wird ein Forschungskonzept, das vorher noch eher abstrakt war, zu einem körperlichen Prozess. Mit dem Beginn des performativen Rollenspiels können deshalb wirklich alle mitforschen und ihren ganz eigenen Einstieg finden: Was für ein Wundersucher_in bin ich? Wie fühle ich mich als Erdastronaut_in? Was kann mir helfen, meine neue Rolle wirklich auszufüllen und zu genießen?

Hier ein paar einfache Mittel und Ideen, um ins performative Rollenspiel einzusteigen:

Initiation

Ein kleines Ritual durchführen, in dem alle erstmals die neue Rolle einnehmen.

Ansprache

Eine kleine Ansprache an die versammelten Wundersucher oder Erdastronauten oder oder... zu schreiben und dann auch zu sprechen, ist eine ideale Übung für die Projektleitung, um selbst zu merken, wie sich das Rollverhältnis in der Übernahme einer neuen performativen Rolle verändert.

Zeichen der Mitgliedschaft

Ausweise oder Anstecker ausgeben, mit denen jeder sich in der neuen Rolle ausweisen kann.

Motto

Gemeinsam ein Motto, einen Wahlspruch, ein geheimes Codewort entwickeln.

Ausrüstungsgegenstand oder Kostüm

Einen zentralen oder auch symbolischen Gegenstand finden, den alle in der neuen Rolle bekommen und gebrauchen.

Markierung von Zeit und Ort

Beispielsweise mit einer Fahne, die immer gehisst wird, oder einem Bodentuch, das immer ausgelegt wird, wenn das performative Rollenspiel stattfindet, und/oder mit einer besonderen Sanduhr, die jeweils den Zeitrahmen vorgibt, in dem die neuen Rollen einzunehmen sind.

Häufige Schwierigkeiten:

a) Die schulischen Rollen überlagern die performativen Rollen: Gerade im schulischen Rahmen, in dem die Rollenunterschiede zwischen Kindern und Erwachsenen so klar definiert sind, gilt es, den Einstieg in die neuen performativen Rollen klar abzugrenzen und die anderen alltäglichen Rollen nach Möglichkeit zeitweise abzustreifen.

b) Das Rollenspiel gleitet vollständig ins Fiktive: Der besondere Reiz und auch der Forschungscharakter des performativen Rollenspiels hängen davon ab, die unwahrscheinliche Rolle so wirklich wie möglich zu verkörpern. Fiktives Spiel ist natürlich nicht verboten und kann durchaus immer wieder hilfreich sein, um für diesen Weg in die Wirklichkeit auf neue Ideen zu kommen. Es sollte jedoch nicht den Prozess leiten. Um dies zu vermeiden, ist es wichtig, mit den Kindern über diesen Unterschied zu sprechen. Die Frage, ob etwas nun eher in Richtung Fiktion oder in Richtung Wirklichkeit geht, kann man im Laufe des Prozesses immer wieder stellen und immer wieder neu besprechen. Daraus ergeben sich oft interessante Forschungsergebnisse!

Überhaupt sind Schwierigkeiten, die im Zuge eines Forschungsprojekts auftauchen, keineswegs immer auf Fehler in der Prozessführung zurückzuführen, sondern oft auf die Form, in der sich ein Forschungsergebnis zuerst zeigt. Die eigentliche Schwierigkeit liegt dann darin, das Forschungsergebnis zu erkennen, das sich in einer konkreten Schwierigkeit versteckt, während man gleichzeitig mit der Lösung des jeweiligen Problems beschäftigt ist.

3. Der Forschungsprozess

Im Unwahrscheinlichkeitsfeld zu forschen, ist auf der einfachsten und für alle Beteiligten zugänglichen Ebene zunächst ein Vorgang von Trial-and-Error: Insofern das Forschungssetup auf einem Wunsch basiert, ist auch ein Ziel, ein gemeinsames Vorhaben vorgegeben. Die performativen Mittel, die diskursiven Fragen und Vorannahmen, die sich dem Wunsch hinzugesellen, stellen die Weichen für die konkreten Aktivitäten, mit denen die Gruppe der Forschenden nun versucht, das Ziel zu erreichen. In der Praxis stellt sich dieser Zusammenhang oft etwas komplexer dar. Für den gemeinsamen Forschungsprozess ist es jedoch wichtig, das Vorgehen im Ansatz immer wieder an einem sehr einfachen Vorhaben oder Ziel auszurichten. Denn erst dies ermöglicht es allen Beteiligten, auch am gemeinsamen Bewerten, Reflektieren und Steuern, das nach jedem Teilschritt des Prozesses stattfinden sollte, teilzunehmen: Sind wir mit diesem Schritt unserem Ziel näher gekommen? Ja oder Nein? Warum? Forschungsprojekte mit Kindern unterliegen also einem Diktat der Vereinfachung – ›Simplicity‹ ist gefragt. Doch anders als man annehmen könnte, ist diese ›Simplicity‹ keineswegs zwangsläufig ein Forschungshindernis. Im Gegenteil zwingt sie die erwachsenen Mitforschenden zur Klarheit und dazu, das gemeinsame Vorgehen gründlich zu durchdenken. Diskursive Ausweichmanöver und Begriffsgeklingel, wie man sie in der Wissenschaft nicht selten findet, helfen hier nicht weiter. Ein Beispiel:

Ich wünsche mir eine Zeitmaschine.

Dieser Wunsch verbindet sich für uns mit kulturwissenschaftlichen Forschungen zum Thema Zeit: Grundlegend ist dabei die These, dass das, was wir ›die Zeit‹ nennen, in vieler Hinsicht weniger eine universale Bedingung unseres Daseins als vielmehr eine sozial und medial hergestellte Taktung aller gesellschaftlichen Praktiken ist. Einfach formuliert: Wir stellen die Zeit gemeinsam her. Aus historischer und ethnografischer Perspektive wird zugleich deutlich, wie unterschiedlich ›die Zeit‹ jeweils sein kann. Dennoch fällt es uns offenbar sehr schwer, auf der Ebene der Produktion von Zeit und Zeitlichkeit Veränderungen vorzunehmen, also bewusst und kollektiv zu handeln, um ›die Zeit‹ als solche zu verändern. Stattdessen erleben wir die Zeit meist als etwas, das uns widerfährt und dem wir ausgeliefert sind. Woran liegt das? Und ist es im Prinzip erlernbar, die Zeit als etwas zu sehen und zu erleben, das wir so oder anders herstellen könnten? Mit anderen Worten: Können wir uns eine Art gesellschaftliche Zeitmaschine bauen, mit der wir die Zeit verändern könnten?

In dem Projekt »Schuluhr und Zeitmaschine«, dem ersten Forschungsprojekt des Forschungstheaters, haben wir genau dies versucht. Die Grundschule erschien uns als ideales Forschungsfeld dafür, denn gerade zu Beginn der Schulzeit lernen wir grundlegende Dinge über die Zeit. In zahlreichen Interviews, die wir mit Kindern geführt haben, zeigten sich dabei insbesondere drei Charakteristika: das Konzept der Pünktlichkeit, der Unterschied zwischen Arbeitszeit und Freizeit, und dass wir häufig jetzt, in der Gegenwart, etwas tun müssen, wenn wir für später, die Zukunft, etwas Bestimmtes wollen. Damit ist die Schulzeit offenbar die erste Version dessen, was später im Leben für uns einfach nur noch ›die Zeit‹ ist. Und so gingen wir als Zeitforscherinnen in die Schule, um gemeinsam mit Kindern herauszufinden, wie die Schulzeit eigentlich gemacht wird, und ob und wie wir sie verändern könnten. Um uns dieser komplexen Frage auf möglichst einfache Weise zu nähern, schlugen wir den Kindern das Experiment vor, die Schulzeit gemeinsam auszuschalten. Ganz im Sinne eines streng wissenschaftlichen Vorgehens würde uns dieser Versuch zugleich viele Erkenntnisse hinsichtlich der Faktoren liefern, die an der Produktion von Schulzeit beteiligt sind.

Ausgehend also von dem für alle Beteiligten nachvollziehbaren Vorhaben, die Schulzeit zumindest zeitweise auszuschalten, lief der Forschungsprozess in verschiedenen Teilschritten ab:

Im ersten Schritt verbannten wir alle Uhren aus dem Klassenzimmer. Herrscht jetzt immer noch Schulzeit? Ja – es gibt ja noch die Klingel!

Im nächsten Schritt unternahmen wir also eine Exkursion, um herauszufinden, wo der Klingelton herkommt. Da sich die Klingel hüufig nicht abstellen ließ, entschied sich die Gruppe an dieser Stelle meist dazu, eine andere, eigene Form der Zeitmessung zu entwickeln, um der durch die Klingel vorgegebenen Zeit etwas entgegenzusetzen. Hierfür hatten wir als performatives Mittel einen großen, innen schalldicht gemachten Karton mit in die Schule gebracht. Mithilfe des Kartons entwickelten die Kinder nun eine Form von Kartonzeit. Zum Beispiel mit der Verabredung, dass unsere Stunde, also die Stunde der Zeitforschung, andauern sollte, bis jedes Kind einmal allein im Karton war. Die Aktivität der Kinder wurde zur maßgeblichen Zeiteinheit. Diese Maßnahme brachte hinsichtlich unseres Vorhabens meist einen Teilerfolg:

Herrscht jetzt immer noch Schulzeit? Nein, jetzt herrscht Kartonzeit. Doch, es herrscht immer noch Schulzeit, weil...

In Forschungsprojekten, die sich über einen längeren Zeitraum erstrecken, ist es empfehlenswert, das übergeordnete Vorhaben in mehrere kleinere zu unterteilen, um so unterschiedliche Versuche und Aufgaben für jeweils neue Phasen des Prozesses zu generieren. Diese Unterteilung folgt im Idealfall aus den Erkenntnissen, die man im Forschungsprozess gemeinsam gewinnt. Beispielsweise so:

Fühlst du dich jetzt schon als Astronautin?

Nein, Astronauten können doch fliegen. Na ja, wir fliegen halt mit der Erde durchs All. Das merk ich aber nicht.

Ok, dann wäre die nächste Frage: Wie können wir es hinkriegen, zu merken, dass wir mit der Erde fliegen? Wir entwickeln dafür ein spezielles Flugtraining. Das ist unsere nächste Aufgabe.

Hier zeigt sich zugleich, wie wichtig der Moment des Scheiterns, des Nicht-Erreichens für den Forschungsprozess ist. Auch dies ist ein Grund, das gemeinsame Vorhaben möglichst klar und mit einem gewissen Ehrgeiz zu formulieren und zu verfolgen. Denn erst diese Klarheit bringt ja die Möglichkeit des Scheiterns mit sich und schafft damit die Voraussetzung dafür, die Forschung tatsächlich voranzutreiben. Das ist zugleich ein wichtiges Merkmal, um Forschung von Recherche zu unterscheiden.

Häufige Schwierigkeiten:

a) Forschung und Recherche werden häufig verwechselt. Doch im Unterschied zur Recherche muss Forschung auch scheitern können. Recherche ist also noch nicht Forschung. Nichtsdestoweniger spielen Recherchen im Forschungsprozess eine wichtige Rolle: Immer wieder wird zwischen einem Forschungsschritt und dem nächsten eine Recherche notwendig. So ist es beispielsweise sinnvoll zu recherchieren, welche unterschiedlichen Formen der Zeitmessung es in alter Zeit und in anderen Gesellschaften gegeben hat, bevor man sich selbst daranmacht, eine Zeitmessung mittels eines Kartons zu erfinden – von der Wasseruhr bis zur ›Zeit der Kühe‹’, wie sie früher in Burundi verwendet wurde. Ebenso macht es Sinn, sich darüber zu informieren, wie ein professionelles Astronautentraining aussieht, um dann zu überlegen, welche Teile davon möglicherweise auf ein Erdastronautentraining übertragbar wären und wie man sie abwandeln könnte. Solche Rechercheaufgaben machen Spaß. Zudem stellen sie die Beteiligten vor die schöne und wichtige Aufgabe, sich gegenseitig Rechercheergebnisse auf interessante Weise zu präsentieren.

b) Ideal und Wirklichkeit des Prozesses: Die hier angeführten Beispiele stellen den Prozess von Try-and-Error idealtypisch dar. Im Forschungsalltag ist es keineswegs immer so einfach, vom Moment des Errors, des nicht erreichten Ziels, zum nächsten Schritt zu kommen. Oft braucht es Zeit und mindestens eine Nacht guten Schlaf. Wichtig (und oft gar nicht so einfach) ist es, den ›Error-Moment‹ als solchen zu erkennen, mit allen zu teilen und damit zugleich als eine Chance für den nächsten Schritt zu würdigen, auch wenn dieser nächste Schritt nicht gleich auf der Hand liegt. Wichtig ist auch, jeden Teilschritt als solchen zu genießen, unabhängig davon, ob er das gewünschte Ergebnis bringt. Jeder Teilschritt ist daher auch im Hinblick darauf zu planen und zu entwerfen, dass er die Erfahrung im Unwahrscheinlichkeitsfeld intensiviert und das performative Rollenspiel stärkt, indem er interessante Aufgaben und neue Eindrücke für die Beteiligten mit sich bringt. Der Weg ist das Ziel. Und manchmal ist das Ziel auch im Weg.

c) Prozess und Präsentation: Im fünften Abschnitt werden wir uns mit Möglichkeiten beschäftigen, Forschungsprojekte szenisch zu präsentieren. Doch schon hier – im Abschnitt zum Forschungsprozess – ist zu betonen, dass Prozess und Präsentation in einem engen Verhältnis zueinander stehen. Ein Forschungsprozess unterscheidet sich deutlich von einem Produktionsprozess, der in erster Linie auf die Fertigstellung einer Bühnenpräsentation abzielt, in dem der Prozess also der Produktionslogik folgt und unterliegt. Da das Modell des Produktionsprozesses in der Theaterarbeit weiterhin dominant ist, ist es nicht ganz einfach, sich von dieser Logik zu lösen. Dies hat jedoch häufig ein umgekehrtes Problem zur Folge: Um den Forschungsprozess als solchen zu ermöglichen, gestaltet man ihn zunächst völlig losgelöst von der Präsentation. Doch irgendwann rückt der Termin der Abschlusspräsentation gefährlich nahe. Dann beginnen forschungsferne Sachzwänge den Prozess zu bestimmen und zu verändern: Alte Rollenmuster und Aufgabenverteilungen machen der Forschung ein Ende. Nicht selten gerät der soziale Zusammenhalt des Projekts an dieser Stelle in eine Krise. Dies gilt es nach Möglichkeit zu vermeiden, indem man Präsentation und Prozess von Anfang an zusammendenkt.

Ohne Präsentationsmomente ist ein performativer Forschungsprozess ohnehin nicht denkbar. Hier ein paar Überlegungen und Vorschläge zum Zusammenhang von Prozess und Präsentation:

Die Verkörperung des Forschungssetups im performativen Rollenspiel, die Durchführung von Versuchen im Sinne von sinnlichen Erfahrungen und konkreten Interaktionen, die gruppeninterne Vermittlung von Recherchen und Zwischenerkenntnissen – all dies sind bereits Präsentationsmomente, die im Prozess selbst erarbeitet werden. Auch deshalb sind sie so wichtig: Hat man die Ausstattung entwickelt, die man zur Wundersuche braucht, so liegen damit zugleich bereits schöne Materialien für eine abschließende Präsentation vor. Hat man eine rituelle Initiation erfunden, mit der man von Alltag auf Raumfahrt umschalten kann, so kann man das mit dem Publikum der Abschlusspräsentation wiederholen. Hat man eine Kartonuhr entwickelt, so kann man sie auch nutzen, um die Abschlusspräsentation selbst zu timen.

Umgekehrt gilt: Präsentationen sind Verkörperungen von Forschungsannahmen. Deshalb sind sie immer auch forschungsrelevant. Häufig findet man in dem Versuch, eine Idee, einen Befund oder eine Erkenntnis zu präsentieren und sinnlich erfahrbar zu machen, etwas ganz Neues heraus. Es macht daher immer Sinn, eine kleine Präsentationsaufgabe als Zwischenschritt in den Forschungsprozess selbst einzubauen. Da es sich um einen performativen Forschungsprozess handelt, sollte dabei immer auch Material und Aktion eine Rolle spielen. Zum Beispiel:

Kleingruppen entwickeln verschiedene mögliche Grußzeichen für Erdastronaut_innen. Oder jeder bringt das wundersamste Ding mit, das er zu Hause finden kann, und stellt es den anderen vor. So entsteht im Laufe des Prozesses spielerisch bereits eine Menge szenisches Material, auf das man in der Abschlusspräsentation zurückgreifen kann. Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang auch die Dokumentation des Forschungsprozesses. Dafür gibt es kein Allgemeinrezept; jeder Forschungsprozess braucht seine eigene, ihm angemessene Form der Dokumentation. Grundsätzlich gilt: Jeder Schritt der Forschung sollte in einer vorher definierten Form dokumentiert werden. Dabei ist dringend davor zu warnen, stundenlang eine Videokamera unbestimmt auf ein Geschehen zu richten. Dies produziert viel zu viel, meist schlechtes Material, das zu bearbeiten den zeitlichen Rahmen sprengt. Je klarer das Dokumentationskonzept, desto weniger Arbeit bringt die Materialauswertung mit sich, und desto mehr dient die Dokumentation der Forschung selbst. Die Dokumentation sollte nicht als ein vom Prozess unabhängiger, nebenbei laufender Vorgang verstanden werden, sondern als ein Instrument der Forschung. Dabei kann und sollte die Dokumentation auch dazu genutzt werden, die jeweilige Phase des Forschungsprozesses zu strukturieren.

Beispiel Foto

Auf einer Wundersuche-Exkursion in den Stadtteil können die beteiligten Kinder in Gruppen eingeteilt werden. Jede Gruppe hat dann die Aufgabe, ein Foto zu machen, in dem eines der Kinder mit dem Wunderpfeil versuchsweise auf einen Gegenstand oder ein Geschehen zeigt. Auf diese Weise werden die Gruppen genau überlegen, welches Foto sie machen wollen und die sechs produzierten Fotos bzw. Motive werden selbst zu einem Zwischenergebnis. Beim nächsten Treffen können sich dann alle gemeinsam die Fotos anschauen und diskutieren, ob es gelungen ist, ein Wunder zu fotografieren oder nicht; und ob es überhaupt möglich ist, ein Wunder im Sinne einer Erfahrung medial aufzubewahren.

Beispiel Video

Im Rahmen des Projekts Schuluhr und Zeitmaschine haben wir eine Videokamera in einer silbernen Box versteckt und den Kindern mitgeteilt, mithilfe dieser Box könnten wir Botschaften in die Zukunft schicken. Jedes Kind hatte dann die Möglichkeit, eine solche Botschaft in die Box zu sprechen. Zu einem späteren Zeitpunkt, also in der Zukunft, spielten wir den Kindern die Botschaften wieder vor und konnten so darüber sprechen, dass alle medialen Aufzeichnungen als Botschaften für die Zukunft verstanden werden können und zugleich darüber, wie sich die Kinder die Zukunft, an die sie ihre Botschaften richteten, jeweils vorstellten.

Beispiel Text

Aus den Zelten der Raumstation des Clubs der Autonomen Astronauten sehen die Kinder – durch kleine Stofffenster hindurch – Teile von Schule und Schulhof. Sie erhalten die Aufgabe, was sie sehen aus der Perspektive eines Außerirdischen zu beschreiben, der soeben erst auf der Erde gelandet ist, und nichts weiter erkennen kann, als diesen kleinen Ausschnitt. Jedes Astronautenteam findet in seinem Zelt ein Formular vor, auf dem diese Beobachtungen schriftlich festzuhalten sind. Die Erwachsenen werten diese Beobachtungen aus und geben den Kindern in Form eines Gesamtberichts Feedback: Wie ändert es unseren Blick auf unseren Alltag, wenn es uns gelingt, ihn gewissermaßen von Weitem zu sehen?

Wie an diesen Beispielen deutlich wird, werden alle Projektbeteiligten in die Produktion von Dokumenten einbezogen. Erfahrungsgemäß werden die entsprechenden Dokumente in dem Maße besser, in dem sie gewürdigt werden. Je deutlicher den Beteiligten wird, dass ihre Fotos und Texte als Forschungsmaterial und Zwischenergebnis ernst genommen werden, desto mehr Aufmerksamkeit fließt in die Produktion. So entsteht im Laufe der Zeit gutes Material für eine abschließende Präsentation.

4. Unwahrscheinliche Institutionen, andere Öffentlichkeiten

Es gibt Wünsche, die auch Theater und Wissenschaft nicht verwirklichen können, selbst mit vereinten Kräften nicht. Ein Beispiel: Ich möchte reich werden.

Der Wunsch nach Geld, nach Reichtum fehlt in keiner Wunschrunde. Dies ist nicht selten auf die Armutserfahrungen von Kindern zurückzuführen. In Hamburg lebt durchschnittlich jedes fünfte Kind in Armut, in manchen Stadtteilen ist es fast jedes zweite. Gern hätten wir ein Forschungsprojekt entwickelt, dass dieses Problem bearbeitet. Doch trotz des ernsten Hintergrundes fehlten uns jahrelang die anderen beiden Eckpunkte des Wunschdreiecks: Im Theater ist das Geld auch immer knapp. Erst als wir im Zuge der Finanzkrise von alternativen Währungen erfuhren und mit Bürger_innen und Wissenschaftler_innen zusammentrafen, die eigene Banken gegründet und Gemeinschaftswährungen in Umlauf gebracht hatten, wurde uns klar, dass auch in diesem Wunsch Forschungspotenzial steckt. Gemeinsam mit Kindern, Studierenden und Ladenbesitzern aus dem Stadtteil gründeten wir die Kinderbank und druckten unser eigenes Geld: das Abenteuergeld, mit dem Kinder in den Läden, die Teil unseres Netzwerks sind, tatsächlich einkaufen können.

»Und jetzt, wo wir eine Bank sind und unser eigenes Geld drucken können, sind wir jetzt reich?« Was ist eigentlich Reichtum? Und was lernt man über den Zusammenhang von Reichtum und Geld, wenn man sein Geld selbst macht? Allein wäre es dem Theater und den beteiligten Schulen nicht gelungen, die Kinderbank zu gründen. Erst die Mitwirkung der Läden aus dem Stadtteil hat dies ermöglicht. Um die Läden zum Mitmachen zu motivieren, galt es, die Kinderbank als ein Kooperationsmodell zu entwickeln, das für alle Beteiligten Vorteile hat.

Bei den Versammlungen der Kinderbank auf der Bühne des Forschungstheaters kamen alle Beteiligten zusammen: Ladenbesitzer_innen, Kinder, Studierende, wissenschaftliche Expert_innen für alternative Währungen oder Kinderarmut, Nachbarn, Eltern, Pädagog_innen und Künstler_innen. Gemeinsam mit den Kindern bereiteten wir diese Versammlungen detailliert vor: Wir gestalteten den Raum der Versammlung mit Bühnenbild und der Bühnentechnik und probten kleine Präsentationen, mit denen die Kinder den Erwachsenen ihre Erfahrungen und Erkenntnisse aus dem Projektverlauf vermitteln konnten. Wir bereiteten das Dokumentationsmaterial für die Versammlungen auf und gestalteten Möglichkeiten, gemeinsam zu Entscheidungen über den Fortgang des Projekts zu kommen.

Die Kinderbank Hamburg, der Club der Autonomen Astronauten oder auch die Spukversicherung, von der im nächsten Abschnitt die Rede sein wird, all dies sind Beispiele dafür, dass unsere performativen Forschungsprojekte oft Einrichtungen hervorbringen, die zwischen Realität und Fiktion stehen. Das Unwahrscheinlichkeitsfeld nimmt gewissermaßen die Gestalt von Institutionen auf Probe an, in die sich unser Theater temporär verwandelt. Das macht Spaß und Sinn, denn innerhalb einer solchen Einrichtung kann man mit verteilten Rollen und Aufgaben an einer Wirklichkeit auf Probe arbeiten und so zugleich forschen. Zugleich zeigt sich am Beispiel der Kinderbank, dass performative Forschungsprojekte das Potenzial haben, Menschen zusammenzuführen. Woran hier geforscht wird, sind oft auch neue Formen und Möglichkeiten von ›Bürger_innenschaft‹: Wie wollen wir als Bürger_innen morgen gemeinsam leben und handeln? Im Rahmen der Kinderbank sind sich viele Menschen, die sonst im Stadtteil täglich aneinander vorbeileben, erstmals wirklich begegnet. Dabei sind die beteiligten Kinder ein Schlüssel: Ermächtigt man sie dazu, im öffentlichen Leben des Stadtteils eine Rolle zu spielen, zum Beispiel als Kinderbanker_innen, haben sie die Kraft, Nachbarschaften und Communities zusammenzubringen. Dies funktioniert auch im kleineren Rahmen, etwa bei einer Wundersuche, wenn Kinder ältere Nachbarn nach den Wundern befragen, die sie erlebt haben, oder wundersame Orte in einer Karte der Wunder von Horn eintragen und öffentlich machen. Kinder können anderen viel geben und sind meist froh, wenn man sie dazu ermächtigt. Wundersucher_innen oder Kinderbanker_innen zu sein, bietet Kindern vor allem auch die Chance, sich in einer öffentlichen Rolle auszuprobieren, und auf bisher unbekannte Weise am öffentlichen Leben teilzunehmen. Dafür macht es Sinn, mögliche Partnerinstitutionen schon im Vorfeld zu kontaktieren. Einzelne Forschungspartner zu finden kann und sollte aber auch Teil des Prozesses selbst sein: Personen im öffentlichen Raum anzusprechen, um sie für die Teilnahme an einem Forschungsprojekt zu gewinnen – und sei es nur für eine kleine Weile – ist eine Aufgabe, die Kinder in begleiteten Gruppen gut übernehmen können. Das eigene Verständnis und die Identifikation mit dem Projekt wird durch eine solche Aufgabe enorm gestärkt. Natürlich muss das vorher geübt werden:

Was sagt man, damit die Angesprochenen verstehen, worum es geht? Wie motiviert man sie dazu mitzumachen? Welches Informationsmaterial ist mitzunehmen? Hilft vielleicht eine kleine Gabe, um ins Gespräch zu kommen?

Hilft es, wenn die Kinder als Mitglieder des Forschungsprojekts erkennbar sind/sich ausweisen können? Wie sollen mögliche Beiträge der Angesprochenen dokumentiert werden? Wie kann man mit den neuen Projektbeteiligten in Kontakt bleiben?

Häufige Schwierigkeiten:

Kinder in der Öffentlichkeit: Hin und wieder gibt es Bedenken, mit Kindern in der Öffentlichkeit zu arbeiten. Dies ist verständlich, denn zahlreiche Risiken scheinen sich damit zu verbinden – von aufgebrachten Eltern über das Verlorengehen einzelner Teammitglieder bis zu Begegnungen mit unsympathischen Mitbürger_innen. Unsere Erfahrung zeigt jedoch bisher ganz deutlich, dass auch und gerade Gruppen, mit denen im schulischen Kontext schwer zu arbeiten ist, sich in der interaktiven Forschung im öffentlichen Raum enorm entwickeln können. Dabei sollten unter den Gruppenmitgliedern Aufgaben verteilt werden, so dass alle sich ihrer Bedeutung und Verantwortung bewusst ist, beispielsweise Navigation (wo geht’s genau hin), Ansprache/Kontaktaufnahme, Transport von Materialien und Dokumentation. Die erwachsene Begleitung sollte sich nach Möglichkeit eher als Assistenz verstehen.

Ob es nun im Rahmen einer einzelnen Exkursion geschieht, oder ob das ganze Projekt dauerhaft außerschulische Partner und Orte einbezieht – ein wesentlicher Effekt dieser Art des Forschens ist die Entstehung einer projektspezifischen Öffentlichkeit. Es lohnt sich, mit allen Personen, die an einem Forschungsprojekt beteiligt waren, in Kontakt zu bleiben, zum Beispiel über Email. Denn dann kann man sie als Publikum zur abschließenden Präsentation einladen. Natürlich ist es aufwändig, auf diese Weise ein projektspezifisches Publikum zu

generieren. Doch die Mühe lohnt sich: Wenn es gelingt, verwandelt sich die abschließende Präsentation in eine Versammlung von Menschen, die sich tatsächlich für die geleistete Forschung interessieren und ihren eigenen Beitrag im Kontext der Ergebnisse wiederfinden und reflektieren.

5. Forschungsergebnisse präsentieren – Versammlungen einberufen

Eine Versammlung, bei der alle Leute zusammentreffen, die Teil eines Forschungsprojekts waren, ist das ideale Forum für die Abschlusspräsentation. Eine solche Versammlung bietet andere, umfassendere Gestaltungsmöglichkeiten als eine reine Bühnenpräsentation, gilt es doch die Versammlung als solche zu inszenieren: den Einlass, die Begrüßung, die Sitzordnung, die mögliche Beteiligung des Publikums, seine Versorgung beispielsweise mit Essen und Trinken oder einer bestimmten persönlichen Ausstattung. Hier gibt es viele unterschiedliche Aufgaben, für alle ist etwas dabei. Grundsätzlich schafft ein Publikum, das man als Versammlung versteht, eine andere Situation und Atmosphäre als beispielsweise ein Publikum, das wesentlich aus den Eltern der beteiligten Kinder besteht. Denn deren Interesse wird immer eher auf die Kinder selbst und weniger auf die gemeinsame Forschung als solche gerichtet sein. (Es sei denn natürlich, es handelt sich um ein Forschungsprojekt, das sich inhaltlich speziell an die Eltern adressiert!) Es geht hier also auch um die Würdigung des im Laufe des Forschungsprozesses produzierten Wissens. Die Ergebnisse eines Forschungsprojekts erhalten ihren Wert nämlich nicht zuletzt von der Frage, für wen sie eigentlich von Bedeutung sind.

Häufige Schwierigkeiten:

Lernen statt Forschen: In vielen Forschungsprojekten mit Kindern werden zwar forschende Verfahren angewandt, dem gemeinsam produzierten Wissen wird jedoch nicht der Wert wirklicher Erkenntnis zugebilligt. Oft finden sich Kinder aufgefordert, sich forschend ein Wissen zu erarbeiten, dass es bereits vorher gibt. Forschung wird hier als forschendes Lernen verstanden und als wertvoll vor allem im Hinblick auf dessen Wirkung auf die Lernenden betrachtet. Natürlich haben Forschungsprozesse idealerweise immer auch eine gute Wirkung auf die Beteiligten. Zwischen Lernen und Forschen ist da oft nicht klar zu unterscheiden, da sich gegebenes Wissen immer wieder verändert, verschiebt und erweitert, sobald es verkörpert und in neuen Kontexten erprobt wird. Grundsätzlich ist die Wirkung eines Forschungsprojekts auf die Forschenden vor allem dann gut, wenn die gewonnenen Erkenntnisse und die gemachten Erfahrungen auch wirklich als solche gewürdigt werden. Natürlich ist von einer Forschungsgruppe, die zahlreiche Grundschulkinder umfasst, nicht zu erwarten, dass sie beispielsweise neue Erkenntnisse zur Physik der Zeitmessung beiträgt. Das heißt aber nicht, dass sie grundsätzlich nicht in der Lage ist, neue Erkenntnisse zu produzieren. Denn was eine neue und wichtige Erkenntnis ist, ist immer vom Kontext und von der jeweiligen Öffentlichkeit abhängig, an die sich die Forschung adressiert: Für die Bewohner_innen des Stadtteils Eilbek, aber auch für Wissenschaftler_innen, die sich mit Kinderarmut oder alternativen Währungen beschäftigen, ist es wirklich von Interesse, was die Kinder der Grundschule Richardstraße im Zuge des Projekts Kinderbank herausgefunden und erlebt haben.

Es ist von großer Bedeutung, im Rahmen eines Forschungsprojekts auch einen Kontext zu schaffen, in dem die gemeinsam erarbeiteten Forschungsergebnisse wirksam werden können. Und manchmal ist das sogar ganz einfach. Denn schließlich kann das, was erforscht wird, ja auch die beteiligte Schule selbst betreffen, so dass die gewonnenen Erkenntnisse bei einer Versammlung der schulischen Öffentlichkeit genau die richtige Würdigung erfahren.

Performative Forschungsprozesse bringen Ergebnisse ganz unterschiedlicher Art hervor: Erfahrungen, von denen berichtet werden kann, Ausstattungsgegenstände für das performative Rollenspiel, Foto- und Videodokumente, Interviewaufnahmen, Protokolle für Interaktionen, Choreografien, experimentelle Setups und vieles mehr.

In welcher Weise die Ergebnisse eines solchen Forschungsprozesses präsentiert werden können, ist daher kaum pauschal zu sagen. Häufig legt der Prozess jedoch bereits ein bestimmtes Format nahe, beispielsweise eine Wundersammlung, durch die die beteiligten Kinder die Besucher_innen hindurchführen. Wie bereits beschrieben gilt es, in der Planung eines szenischen Forschungsprojekts Prozess und Präsentation immer schon zusammenzudenken: Präsentationselemente sollten den ganzen Prozess hindurch erarbeitet werden. In der Planung der Abschlussveranstaltung gilt es jedoch vor allem zu fragen, welche Funktion die Veranstaltung für den Forschungsprozess selbst haben kann. Ein Beispiel:

Vielleicht ein Gespenst treffen? – Ausgehend von diesem Wunsch haben wir im Forschungstheater das Projekt Die Spukversicherung entwickelt, das von dem antiken Konzept des Genius Loci, des Ortsgeistes, ausgeht. Schließt eine Schule beim Forschungstheater eine Spukversicherung ab, kommt ein Team des Theaters, um gemeinsam mit Schüler_innen die jeweilige Schule auf Ortsgeister hin zu untersuchen. Dies geschieht auf der Grundlage eines von den Kindern durchgeführten psycho-geografischen Mappings: Die Kinder zeichnen Karten ihrer Schule und markieren darin farbig, welche Atmosphären an welchen Orten der Schule herrschen. Gemeinsam wird das Mapping ausgewertet: Gibt es Orte, an denen die Kinder dasselbe fühlen, die also ganz besonders zum Beispiel durch Konflikte, Fröhlichkeit oder Langeweile geprägt sind? Gruppenweise werden diese Orte besucht, um die dort herrschende Atmosphäre genau wahrzunehmen und näher zu beschreiben. Entsprechende Wahrnehmungs- und Bewegungsübungen gipfeln schließlich im Einsatz unserer Geistersuchmaschine. Sind sich die Kinder über eine intensive Atmosphäre am Ort einig, manifestiert sie sich in Form eines Ortsgeistes, den wir mithilfe der Maschine in ein Glas abfüllen. Die Kinder benennen den Geist und spekulieren über das Warum seiner Entstehung, seine Bedürfnisse und Wünsche. Der Prozess wird mittels Fragebögen, Fotos und Audioaufnahmen dokumentiert. Dokumente und Geistergläser werden nun zur näheren Untersuchung in die Zentrale der Spukversicherung, sprich: das Theater, überführt. Kurze Zeit darauf werden Kinder und Lehrer_innen der jeweils untersuchten Schule ins Theater zu einer Sitzung der Spukversicherung eingeladen. Hier wird den Kindern zunächst von den Geistern des Theaters berichtet: vom Animat und vom Wechsler, die uns helfen, Objekte zum Leben zu erwecken und ganz verschiedene Rollen zu spielen, aber auch von Funke, dem Ideengeist und vom Kleingeist, der die Ideen gern auch mal wieder kaputt macht. Anschließend wird die Sitzung zu einer Séance: Die Geister aus der Schule werden nacheinander aus ihren Gläsern befreit und begegnen – gefasst im großen Kreis der Stühle, die um die Bühnenfläche herum angeordnet sind – den Geistern des Theaters. Mithilfe von Animation und Improvisation nehmen die Geister temporär Gestalt an; ein interaktives Konzept ermöglicht es den Umsitzenden, selbst in diese Gestaltwerdung einzugreifen und sich zu äußern. Nicht selten werden dabei Konflikte, aber auch Potenziale der untersuchten Schule auf neue Weise thematisierbar.

Auf der Basis dieser gemeinsamen Erfahrung werden die Kinder dann aufgefordert zu entscheiden: Welche der Ortsgeister sollen an die Schule zurückkehren und ganz offiziell Teil des schulischen Alltags werden – beispielsweise indem man ihnen zu Ehren ein Fest veranstaltet, oder indem man ihnen nach südostasiatischem Vorbild ein kleines Geisterhaus baut, in dem sie wohnen können –, und welche Geister sollen lieber im Archiv der Spukversicherung verbleiben? Welche Möglichkeiten ergeben sich aus der Geistersuche, um schulische Atmosphären zu verbessern? Das Beispiel zeigt, dass eine Veranstaltung, bei der die Ergebnisse eines szenischen Forschungsprozesses präsentiert werden, selbst als ein Höhepunkt der gemeinsamen Forschung fungieren kann. Erst die Versammlung im Theater, die Séance, schließt die Untersuchung der Ortsgeister als Manifestation schulischer Atmosphären ab. Erst die gemeinsame Präsenz ermöglicht eine gemeinsame Entscheidung über die Zukunft der Ortsgeister. Da die Kinder die Geister gruppenweise ge- bzw. erfunden haben, ist die Sitzung der Spukversicherung zugleich der Moment, in dem alle von den Geistern der jeweils anderen erfahren.

Eine vergleichbar dichte Beziehung zwischen Prozess und Präsentation lässt sich auch im Rahmen ganz anders gearteter Forschungsprojekte herstellen. Um ein solches Verhältnis zu konzipieren, gilt es, bereits frühzeitig im Prozess folgende Fragen zu stellen:

Wie (und als was) soll das Publikum der Abschlussveranstaltung adressiert werden? In welcher Beziehung stehen die Anwesenden zum Forschungsprozess? Können sie selbst zur Forschung noch etwas beitragen? Sollen sie angeregt werden, selbst Kinderbanker_innen, Wundersucher_innen, Erdastronaut_innen oder Zeitforscher_innen zu werden, die man nun – quasi in einem Schnelldurchlauf durch den Prozess – trainiert und einführt?

Kann das Publikum die Forschungsergebnisse in besonderer Weise für sich nutzen? Können die Anwesenden hinsichtlich der präsentierten Ergebnisse vielleicht als eine Art Jury fungieren? Oder können sie vielleicht dabei helfen, bestimmte Maßnahmen umzusetzen, die sich im Zuge des Forschungsprozesses als wünschenswert erwiesen haben, so dass man abschließend gemeinsam zur Tat schreiten könnte?

Entlang solcher Fragen kann es gelingen, die Abschlussveranstaltung als Ganze zum Unwahrscheinlichkeitsfeld zu machen, zu einer Wirklichkeit auf Probe, in der alle Anwesenden testweise in das performative Rollenspiel einbezogen werden.