SOUNDS LIKE CATASTROPHES

Titel, Wann, Wo

SOUNDS LIKE CATASTROPHES
2006 – 2019
San Sebastián - Juli 2010, Riga - September 2011, Durban - Dezember 2011, Tampere - August 2012, São Paulo - November 2012, Birmingham - August 2013, Bremen - September 2015, Berlin - August 2015, Odense - April 2018, Kopenhagen - April 2019

Forschungsfrage/-thema

Als Teil einer Reihe von Arbeiten im Zeichen intuitiver Katastrophenforschung beschäftigt sich Sounds like Catastrophesmit den leisen und lauten, unkontrollierten, langsam anschwellenden oder plötzlich ausbrechenden Sound Scapes, die wir mit Katastrophenszenarien verbinden. 

Initiierende / Projektleitung

Eva Meyer-Keller und Hanna Sybille Müller

Beteiligte Institutionen/Kontext und Anbindung

Mugaxionan, San Sebastián, Spanien
Homo Novus, International Festival of Contemporary Theatre, Riga, Lettland
UN-Klimakonferenz COP 17, artSPACE, Durban, Südafrika
Tampere Theater Festival, Finnland
PrototypeFestival, São Paulo, Brasilien
Fierce Festival, Birmingham, UK
Schwankhalle, Bremen, Deutschland
Tanznacht Uferstudios, Berlin, Deutschland
Brandt Museum, Odense, Dänemark
Copenhagen Contemporary, International Art Center, Kopenhagen, Dänemark

Mitforschende

5-7 Kinder zwischen 10 – 12 Jahren, in wechselnden Besetzungen

Außerdem: Lucas Fester, Dirk Notz, Rhonda Repotente, Katja Rothe, Sharon Smith, Sophie Watzlawick, Mehdi Toutain Lopez, Bruno Pocheron

Forschungsverfahren & Mittel

Im Rahmen eines Workshops entwickeln die beteiligten Kinder Kompositionen von tosenden Stürmen, lodernden Feuern und grollenden Erdbeben mit Hilfe alltäglicher Materialien und Gegenstände, die sie als Klangkörper bzw. Instrumente verwenden und arrangieren. Auf der Bühne wird das sich so formierende Orchester dann jeweils unter der Leitung eines Kindes live dirigiert, wobei die aufgeführten Kompositionen live mitgeschnitten werden. In Kombination mit gesprochenen Texten und in den Aufführungsraum zurückgespielten Fragmenten der entstandenen Aufnahmen beschwören diese Klangstücke Assoziationen, Erinnerungen und Zukunftsszenarien als vielstimmige Soundcollage herauf. Ihr Ansatz ist nicht konzeptionell, sondern entspringt einer natürlichen Entdeckungs- und Experimentierfreude, die daraus entsteht, das „Andere“, also das Außergewöhnliche, das Extraordinäre, mit normalen Dingen darzustellen, z.B. mit Haushaltsgegenständen, die wir jeden Tag benutzen.

SOUNDS LIKE CATASTROPHES ist eine kürzere Form unseres Projekts BAUEN NACH KATASTROPHEN, das den ursprünglichen Ablauf etwas vereinfacht und sich mehr Sound und Komposition fokussiert. Gleichzeitig können wir uns in dieser Version mehr Zeit für Gespräche und Austausch mit den Kindern nehmen.

Durch den Austausch mit den Kindern über ihre Vorstellungen von und ihr Vorwissen über Katastrophen haben wir angefangen mit Texten zu arbeiten, die in Gesprächen während der Proben entstanden, aufgenommen und transkribiert wurden. Aus den Beiträgen der Kinder wurden dann Texte entwickelt, die sie in der Vorstellung vortrugen, wobei sie über Kopfhörer den aufgenommenen Text hörten und ihn in ein Mikrophon sprachen.

Im Laufe des Projekts haben wir mit verschiedenen Kindern an zahlreichen, unterschiedlichen Orten zusammengearbeitet. Dabei hat sich der Arbeitsprozess bei jeder Wiederholung des Workshops, mit jeder neuen Gruppe weiterentwickelt. Wir haben gemeinsam neue Fragen entdeckt, die wir in den Gesprächen mit den Kindern stellen konnten, wir haben neue Spiele und Experimentiermethoden gelernt. So haben Teilnehmenden fortlaufend zur Methodik des Formats beigetragen.
 

Präsentationsformate/Dokumentationsformen

Performance / Präsentation

Prozessorganisation/Dauer

Der Workshop dauerte zwischen 5 und 7 Tagen und endete mit einer Performance 

Forschungsergebnisse

Der Gegensatz von Katastrophen und Kindern ist eigentlich ein Tabu und produziert eine Spannung, die uns künstlerisch interessiert hat: fröhliche, spielende, Kinder, die voller Energie stecken, setzen sich mit der Zerstörung ihrer eigenen (schwarzen) Zukunft auseinander. Das will man nicht zusammen sehen, ist aber eine Realität. Zwischen Katastrophen und Kindern, oder Katastrophen und Alltäglichkeit tut sich ein Feld auf, in dem durch die Unangemessenheit der Mittel angesichts der Katastrophen Sachen passieren können: Also Streichhölzer, Mixer, Wasser Papier, mit denen der Klang von Explosionen oder Wirbelstürme nachgestellt wird. 
Auf diese Weise erlauben wir uns, Dinge zu tun, die nicht ganz richtig oder sogar falsch sind. In dem Begriff „intuitive Katastrophenforschung“ steckt ja die Gegenüberstellung von Intuition (gefühlsmäßiges Vorgehen) und Forschung (systematisches Vorgehen). Dieser Begriff von Hans Joachim Schellnhuber (dem Direktor des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung (PIK)) ist für uns wichtig, weil sich die Künste mit dem Thema Klimawandel mit Hilfe von Narration, Emotionen und Intuition auseinandersetzen müssen, wenn der „faktische Zeigefinger“ der Wissenschaft nicht funktioniert. 

Die beteiligten Schüler*innen sind ganz froh darüber, nicht noch einmal mit Fakten traktiert zu werden wie in der Schule, sondern empfinden als Befreiung, bei uns anders darüber nachdenken zu können. Sie wissen um die katastrophalen Folgen des Klimawandels, aber können sich im Workshop von der eigenen Ohnmacht entledigen, sich der unabwendbaren Katastrophe ein Stück weit ermächtigen. Sie lernen, sich so das Thema auf sinnliche Art und Weise und vor allem über den Umweg der Materialien, anzueignen. Was ist im Theater erlaubt, was vielleicht sonst nicht erlaubt ist?

Der Workshop ist dabei gezielt ein bisschen zu komplex angelegt und die Kinder sind oft knapp vor der Überforderung. Genau das erzeugt eine Kraft, die die Gruppe und die Kompositionen zusammenbringt, da es sehr schnell ein gutes Teamwork notwendig macht. Anfangs ging es noch viel mehr darum, wer was weiß oder richtig und falsch macht. Aber später, als sie dann alle gemeinsam an den Kompositionen der anderen arbeiteten und versuchten, die Reihenfolge im Kopf zu behalten, spielte es kaum noch eine Rolle, von wem was kommt. Da ging es dann um das Gelingen des Klangs.


Die bei SOUNDS LIKE CATASTROPHES entstehende Performance, ist eine Aufführung, die wir explizit für ein erwachsenes Publikum entwickeln und ankündigen. Trotzdem wurde die Arbeit immer wieder in Festivals für Kinder programmiert. Wir fragen uns, warum es offensichtlich so schwer fällt sich Kinder als ‚kompetente‘ Performende in einem ‚erwachsenen‘ Theaterkontext vorzustellen? Sie auf diese Weise zu unterschätzen, kommt uns nachlässig vor. Denn wir sind davon überzeugt, dass die Verantwortung, die wir Kindern in der Auseinandersetzung mit unserer Gegenwart übertragen können und die Komplexitäten, die wir ihnen dabei (im Positiven) zumuten, eine wichtige Rolle spielen können, welche Wege wir finden, mit unserer (und noch viel mehr: ihrer) Zukunft umzugehen.
 

Referenzen & Sonstiges

Eva Meyer-Keller, Hanna Sybille Müller SOUNDS LIKE CATASTROPHES, 2010

http://evamk.de/works/sounds-like-catastrophes-performance-2010

Eva Meyer-Keller, Sybille Müller ZERSTÖRUNGSPHANTASIEN MIT SAHNE. GEDANKEN ÜBER DIE ZUKUNFT, 2014

http://evamk.de/texts/zerstorungsphantasien-mit-sahne-gedanken-uber-die-zukunft

Kristin Westphal THEATER/KUNST MIT KINDERN - AM BEISPIEL EINER PERFORMANCE MIT KINDERN VON EVA MEYER-KELLER UND SYBILLE MÜLLER, 2014

http://evamk.de/texts/theater-slash-kunst-mit-kindern-am-beispiel-einer-performance-mit-kindern-von-eva-meyer-keller-und-sybille-muller

Pirkko Husemann GESPRÄCH MIT SYBILLE MÜLLER UND EVA MEYER-KELLER, 2014

http://evamk.de/texts/gesprach-mit-sybille-muller-und-eva-meyer-keller

Pirkko Husemann „KATASTROPHENKOMPOSITIONEN – SOUNDS LIKE CATASTROPHES“ DOKUMENTATION EINER PRODUKTION VON EVA MEYER-KELLER UND SYBILLE MÜLLER, 2014

http://evamk.de/texts/katastrophenkompositionen-sounds-like-catastrophes-dokumentation-einer-produktion-von-eva-meyer-keller-und-sybille-muller

Kristin Westphal: FREMDERFAHRUNGEN IN BILDUNG UND THEATER/KUNST. AM BEISPIEL EINER PERFORMANCE MIT KINDERN VON EVA MEYER-KELLER UND SYBILLE MÜLLER, 2011

http://evamk.de/texts/fremderfahrungen-in-bildung-und-theater-slash-kunst-am-beispiel-einer-performance-mit-kindern-von-eva-meyer-keller-und-sybille-muller