
Projektbericht & Reflexion NACHMACHEN „Human collider“ im Ruhrgebiet, 09.08.2024 Constanze Kaiser & Team
Projektbericht „Human collider - wenn sich Kind und Kumpel Glückauf sagen“ Ein Begegnungsprojekt und Performance mit Kindern und ehm. Bergmännern im Ruhrgebiet Constanze Kaiser & Team, 01.03.2025
Gefördert durch Fonds Soziokultur e.V. Basierend auf „human collider“, Projektreihe von Darren O‘Donnell, in Zusammenarbeit mit dem Netzwerk Forschung im Kinder- und Jugendtheater, im Rahmen von NACHMACHEN VLOG zum Projekt coming soon: https://youtube.com/@constanzekaiser-aufhinterummeb?feature=shared
Mit freundlicher Unterstützung der Stiftung Industriedenkmalpflege und Geschichtskultur, dem Trainingsbergwerk Recklinghausen e.V., Sozialdienst katholischer Frauen Recklinghausen e.V., Imbiss am Schacht, Schallmeister GmbH
Fragen:
Wie erleben verschiedene Generationen das Ruhrgebiet heute? Was ist übrig geblieben von dem offenen Umgang miteinander? Hat der Wertekanon des gegenseitigen Respekts überlebt? Was wurde an die Kinder im Pott weitergegeben?
UND wie wird aus Currywurst Essen Kunst?
Die Gruppen:
Ehemalige Bergmänner und Kinder mit Migrationsgeschichte durch Bergbau
Etwas Unübliches:
Auf dem Gelände der ehm. Zeche Schlägel&Eisen, haben wir zwei Tage gemeinsam verbracht. Nach erstem Kennenlernen hat sich Alt theaterpädagogischem Spiel und Spaß gestellt. Jung wurde mit der geschichtsträchtigen Berufserfahrung der Männer konfrontiert.
Was ist passiert:
Wir haben über Heimat gesprochen.
Wir haben uns Geschichten über Berggeister, weiße Steine, Abbau-Verzicht, Bänke und Dinos ausgedacht.
Wir haben zusammen Currywurst Pommes gegessen und dann hat Klaus für alle Eis spendiert. Als wir die Videos geschaut haben ist uns aufgefallen, wie wir füreinander da waren.
In der alten Maschinenhalle haben wir eine Performance erarbeitet und gezeigt.
Das Veltins war warm.
Beim Verabschieden wurde sich in den Armen gelegen.
1.1 Projektbeschreibung
Die Metropole Ruhr: größter Ballungsraum Deutschlands, nicht umsonst Europas Kulturhauptstadt 2010, Heimat von *Kunst für Kohle* und zurecht stolz auf ihre allgegenwärtige Vielfalt. Doch die alltägliche Konfrontation miteinander, (Kollision?) durch das gemeinsamen Schaffen unter Tage, ist spätestes mit der letzten Zechenschließung 2018 weggefallen. Aber nicht die längst in Deutschland verwurzelten Familien. Der Strukturwandel hat auch die Struktur des Zusammenlebens verändert, aber wie?
Die Ruhrpott - Edition von NACHMACHEN, „Human collider - wenn Kind und Kumpel sich Glückauf sagen“, hat ehemalige Bergmänner und Kinder mit Migrationsgeschichte durch Bergbau aufeinandertreffen lassen. Sie haben zwei Tage auf dem Gelände der Zeche Schlägel&Eisen Herten verbracht, sich kennengelernt, gemeinsam gegessen und über ihre Heimatregion gesprochen. Daraus haben sie eine abschließende Performance entwickelt, die die Themen der Begegnung künstlerisch präsentierte und die alte Maschinenhalle bespielte: Wie erleben verschiedene Generationen das Ruhrgebiet heute? Was ist übrig geblieben von dem offenen Umgang miteinander? Hat der Wertekanon des gegenseitigen Respekts überlebt? Was wurde an die Kinder im Pott weitergegeben? UND wie wird aus Currywurst essen Kunst?
Heimatgefühle im Ruhrgebiet sind verschieden. Die Generation der Nachkommen immigrierter Arbeitnehmer:innen während der Hochphase der Kohleförderung, wächst nun in einem anderen Ruhrgebiet auf. Sie haben andere Erinnerungen an ihre Stadt und andere Lebensrealitäten im Ruhrgebiet als ehemalige Bergmänner. Dazu die urbane Erfahrung ganzer Viertel voller sich ähnelnder Zechenhäuser, die durch die Familien darin, heute ganz unterschiedliche Geschichten erzählen. Die Region ist im Wandel und muss heute neue Antworten finden, wie das Miteinander weiterhin hochgehalten werden kann. Dafür müssen zuerst die beiden wichtigen Perspektiven verschiedener Altersklassen und Herkünfte in Kontakt gebracht werden.
1.2 Diese Aktivitäten haben im Rahmen des Projektes stattgefunden
Die Gruppe von Kindern im Grundschulalter und ehemaligen Bergmännern, haben die zwei Projekttage auf dem Gelände der Zeche Schlägel & Eisen in Herten verbracht: Zu Beginn haben Gesprächsimpulse und theaterpädagogische Inhalte die erste Begegnung strukturiert und beide Seiten in ein Kennenlernen begleitet.
Hierbei wurden nach und nach die Unterschiede, bzw. die verbindende Thematik von Ruhrgebiet, Heimat und Altersunterschied spielerisch entdeckt. Dafür hat die Gruppe bspw. prägnante Orte auf dem Gelände (Förderturm, Halde etc.) bespielt oder in Form von kreativem Schreiben und Geschichten Erzählen zum Leben erweckt. Besonderer und wichtiger Bestandteil war das gemeinsame Mittagessen, bei dem die zwei Generationen bei Currywurst in ein organisches Miteinander verfallen sind, auf das der weitere Verlauf des Projektes und die abschließende Veranstaltung aufbauen sollte.
An beiden Tagen wurden Gespräche, Übungen oder weitere spannenden Interaktionen zwischendurch, videographisch festgehalten. Diese Aufzeichnungen waren ein essenzieller Teil des thematischen Einstiegs und der Bühnenarbeit am zweiten Tag. Ihr erstes Aufeinandertreffen und die folgenden Erlebnisse noch einmal gemeinsam anzuschauen und darüber zu sprechen, unterstütze den Erkenntnisgewinn und das wachsende Gefühl der Verbundenheit. Dabei immer präsent, neben der allgemeinen Begegnung der Generationen, unabhängig von Inhalt und Beruf: die zweite konzeptuelle Säule, Kohleförderung im Ruhrgebiet. Die Erfahrung der Kumpel wurde so sanft in den thematischen Ablauf einbezogen und wurde dann zum Material der künstlerischen Arbeit mit der Gruppe: Räumlichkeit in der historischen Halle, szenisches Explorieren mit Bewegungen oder Atmosphären untertage aber auch umgekehrt: Popkultur der jungen Menschen bestimmte ebenso die theatrale Entwicklung.
Das Projekt mündete in der Performance vor Publikum in der ehm. Maschinenhalle, einem Industriedenkmal der Zeche Schlägel & Eisen. In diesem Rahmen hat die Gruppe, mit selbst gewähltem Fokus, von ihrer Begegnung und der gemeinsamen Zeit berichtet. Textmaterial aus Kleingruppenarbeit wurde szenisch vorgetragen und mit Videoprojektionen der Entstehungsprozesse ergänzt. Aufgebrochen wurde die informative Vermittlung durch tänzerische Bewegungselemente, die partizipativ und mit Hilfe theaterpädagogischen Mitteln und Regieentscheidungen des Konzeptionsteams, aus dem Material des Vortages weiterentwickelt und dramaturgisch strukturiert wurden.
1.3 Projektverlauf - die vier wichtigsten Erkenntnisse
Vertrauen in Zwischenmenschlichkeit! - Neben pädagogisch überlegten und methodisch wasserdichten Anleitungen während der Arbeit mit der Gruppe, durften wir immer wieder beobachten wie eine aufgeschlossene Grundstimmung und herzlicher Umgang untereinander den Rahmen gehalten haben. Nicht nur die Begegnung von Kindern und Kumpel, sondern auch mit uns als Team war gefärbt von vertrautem, bodenständigen Gegenüber. Diese Atmosphäre, die ich mir erlaube u.a. durch die Werte und den Charme der Menschen im Pott zu erklären, hat Freude am Prozess bereitet und temporäres Zweifeln an unserer Planung, unseren Ansätzen und professionellen Tools genommen. Sich daran zu erinnern, wenn auch in Zukunft die Fachlichkeit an ihre Grenzen kommt, empfinde ich als größtes Learning dieses Projektes.
Kooperation macht Sinn! - Durch die Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst katholischer Frauen e.V. hatten wir das Glück und die Möglichkeit, eine Gruppe von Kindern im Rahmen einer Ferienbetreuung einzuladen und wurden so logistisch, (versicherungs-)rechtlich und pädagogisch enorm entlastet.
Rolle erkennen und Raum geben! - Flexibilität in der generellen Arbeitsweise, aber auch im direkten dramaturgischen Prozess, war hier immer die richtige Entscheidung. Interessen und Kompetenzen der Teilnehmenden haben sich zügig zu erkennen gegeben und so konnten Aufgaben als auch Szenen danach verteilt und „gestrickt“ werden. Das war der große Gewinn dieses partizipativen Konzeptes. So wurde z.B. eine Moderation des Abends entwickelt, Dreamteams von Kind und Kumpel erzählten von ihrer Kleingruppenarbeit und beim gemeinsamen Wachsen an Aufgaben entstanden ganz einzigartige „Perfect matches“ zwischen Jung und Alt.
Umgang mit Zielsetzung und Prämissen - Wir haben versucht, beiden Seiten, Kindern wie Kumpeln, gleich wenig Einblick in unsere Schwerpunktsetzung und Forschungsfragen zu geben, um die erste Begegnung möglichst pur zu gestalten. Herauszufinden, dass die noch fremden Männer einen direkten Bezug zu Bergbau haben und diese Erkenntnis selbstbestimmt laufen zu lassen, war für die jungen Menschen spannend. Doch geriet die Augenhöhe zum Teil aus dem Gleichgewicht, wenn die Erwachsenen tief in die Wissensvermittlung eingestiegen sind und das eigentliche gemeinsames Entdecken zu Exkursen der Bergbaukunde wurde. Hier als Konzeptionsteam mit mehr Überlegung und Fingerspitzengefühl zu kommunizieren, ohne dem inhaltlichen Flow des Projektes etwas vorwegzunehmen, wird beim nächsten mal besser gemacht.
Fotos: Grischa Strege
1.4 Das größte Hindernis und Umgang damit (siehe auch 2.7)
Für die abschließe Performance haben wir versucht mit Theatern und Häusern in der Nähe zu kooperieren doch ist ein Auftritt in einer klassischen Bühnensituation nicht zustande gekommen. Das finden wir bis heute bedauerlich, nicht um groß und öffentlichkeitswirksam zu inszenieren, sondern der Gruppe und ihren Inhalten eine gebührende Bühne und Publikum zu bieten. Besonders im Sinne des Konzeptes, wären unbeteiligte, interessierte Zuschauende eine Bereicherung für die verhandelte Thematik und ihrem gesellschaftlichen Interesse gewesen.
Nach vielen vergeblichen Versuchen haben wir uns dazu entschieden, den künstlerischen Anspruch an die Rahmung herunterzuschrauben und die ehm. Maschinenhalle der Zeche mit Unterstützung der Stiftung Industriedenkmalpflege nutzen dürfen. Die Selbstorganisation von Raum, Bestuhlung, Öffentlichkeitsarbeit usw. war ein enormer, zusätzlicher Arbeitsaufwand, den wir lieber in künstlerisches Tun investiert hätten. Doch vor Ort zu bleiben war gut umsetzbar und dennoch eine passende Lösung für die Skalierung des Projektes.
1.5 Relevanz
Dieses Konzept ist relevant, weil Wandel am besten funktioniert, wenn sich Vergangenheit und Zukunft wohlwollend die Hand reichen! Im Ruhrgebiet bedeutet Strukturwandel auch eine Veränderung der Kultur und des Gemeinschaftsgefühls. Die Kumpel werden alt, die nächsten Generationen bestimmen was es zu erinnern und zu wahren gilt. Und um zu entdecken, was eine Heimat auch in Zukunft ausmachen soll, braucht es Begegnung und Austausch auf Augenhöhe. Nicht nur die Pressestimmen und Resonanzen Dritter im Bezug auf dieses Konzept untermauern den Eindruck, dass Begegnungsräume fehlen. Neben Möglichkeiten des intergenerationalen Austausches in Rahmen die primär wissensvermittelnd aufgebaut sind, wie z.B. Bergbaumuseen, Führungen usw., braucht es Kontakt mit gleichen Startbedingungen. Künstlerische Zugänge sind und bleiben dafür eine richtige und wichtige Strategie, Themen einer diversen Gesellschaft zu verhandeln. Hier gilt es, heute an morgen zu denken und der Fülle an Charakter und Vielfalt im Pott Bühnen zu bieten.
1.6 Das würden wir folgenden Projekten im Rahmen von U25 - Junge Kulturinitiativen des FONDS SOZIOKULTUR mit auf den Weg geben
Auch oder besonders im Rahmen eines kleiner skalierten Projektes halten wir es für sinnvoll in Kontakt zu treten. Ob mit Vereinen, Kunst- und Kultureinrichtungen oder sonstigen, für das Konzept spannenden, Stellen - Networking ist fast immer von Vorteil. Damit meinen wir nicht das brancheninterne, immer öfter auf Außenwirkung fokussierte Gerede, sondern einen interessierten Austausch mit der Komplizenschaft. Hätten wir uns nicht getraut, trotzt vergleichsweise kurzem Projekt, initiativ Mails zu senden und mutig nachzufragen, hätte es vermutlich nicht so wachsen können. Alles fängt klein an, immer! Und in einer Branche in der es (zum Glück!) zu laut und vielfältig schillert, soll und darf man sich selbst ermutigen, dass sowohl die eigene Fachlichkeit, als auch das waghalsige Ausprobieren, genau so ihren Platz haben!
„Human collider“ im Ruhrgebiet im Bezug auf NACHMACHEN des Netzwerk Forschung im Kinder- und Jugendtheater, Reflexion Constanze Kaiser & Team 09.08.2024
1. Kurze Projektbeschreibung
Die Metropole Ruhr: größter Ballungsraum Deutschlands, nicht umsonst Europas Kulturhauptstadt 2010, Heimat von *Kunst für Kohle* und zurecht stolz auf ihre allgegenwärtige Vielfalt. Doch die alltägliche Konfrontation, (Kollision?) durch das gemeinsamen Schaffen unter Tage ist spätestes mit der letzten Zechenschließung 2018 weggefallen. Aber nicht die längst in Deutschland verwurzelten Familien. Der Strukturwandel hat auch die Struktur des Zusammenlebens verändert, aber wie?
Die Ruhrpott - Edition von NACHMACHEN, „Human collider - wenn Kind und Kumpel sich Glückauf sagen“, hat ehemalige Bergmänner und Kinder mit Migrationsgeschichte durch Bergbau aufeinandertreffen lassen. Sie haben zwei Tage auf dem Gelände der Zeche Schlägel&Eisen Herten verbracht, sich kennengelernt, gemeinsam gegessen und über ihre Heimat gesprochen. Daraus haben sie eine abschließende Performance entwickelt, die die Themen der Begegnung künstlerisch präsentierte und die alte Maschinenhalle bespielte: Wie erleben verschiedene Generationen das Ruhrgebiet heute? Was ist übrig geblieben von dem offenen Umgang miteinander? Hat der Wertekanon des gegenseitigen Respekts überlebt? Was wurde an die Kinder im Pott weitergegeben? UND wie wird aus Currywurst essen Kunst?
2. Welche Aspekte des „Originals" hast Du gestärkt? Welche verworfen und warum?
Wir haben überwiegend versucht, uns an die ursprünglichen Methode des Originalprojektes zu halten.
„1. Find two groups of people who are not artists and who are a little or a lot different from each other. 2. Bring the two groups together to do something unusual.
3. Take lots and lots of pictures and videos of the unusual activities.
4. Make a presentation about what happened, using the photos and videos.“
So passte die Auswahl der Gruppen auf die Anforderungen des Konzeptes, indem sie sich durch Alter und Herkunft unterschieden und gleichzeitig ihre große Gemeinsamkeit in ihrer derzeitigen Heimat, dem Ruhrgebiet, finden konnten. Die grobe Konklusion des Projektes, dass die beiden Gruppen doch mehr verbindet als anfangs vielleicht erwartet, war abzusehen und von uns methodisch und inhaltlich angestoßen. Trotzdem hatten die Gruppe die Chance den Erkenntnissweg dahin selbst zu gestalten und eigene Antworten zu finden. Die Ergebnisoffenheit der Originalmethode war so weiter ein großer Bestandteil des Projektes.
Allerdings haben wir, die „unübliche Aktivität“ weniger als Hauptprogrammpunkt inszeniert, sondern die Projekttage klar geplant, strukturiert und die Gruppen immer wieder in ihnen unbekannte Situationen gebracht wie z.B. gegenseitiges Spiegeln oder das gemeinsame Mittagessen mit vorgegebener Sitzordnung. Um die kurze Zeit und die sehr unvorhersehbare Gruppendynamik nicht noch stärker auf die Probe zu stellen, haben wir viel angeleitet und Methodik eingesetzt. Diese Gestaltung hat uns mehr Sicherheit und den Beteiligten mehr Orientierung gegeben und war so für unsere Rahmung deutlich hilfreicher.
An beiden Tagen ist die Kamera pausenlos gelaufen und war ein essenzieller Bestandteil des thematischen Einstiegs an Tag 2. und der Performance. Ihr erstes Aufeinandertreffen und die folgenden Erlebnisse noch einmal gemeinsam anzuschauen und darüber zu sprechen, war bezaubernd mitzuerleben und ein teambuildender Selbstläufer. Das Erlebte zu präsentieren wahr für Kinder und Männer gleichermaßen einfacher durch den Wechsel zwischen informativen Anmoderationen, Videos und theatralen Elementen. Auch das Publikum hat rückgemeldet, dass der Aufbau so leicht zu verfolgend und verständlich war, trotzdem aber den Eindruck einer durchaus künstlerischen Veranstaltung vermittelte.
3. Wie viele Personen waren beteiligt?
Teilnehmende: 13 Kinder, 10 Bergmänner, 2 Betreuende
Team: 4 1/2 (Regie & Konzeption, Theaterpädagogik, Foto- & Videographie, Projektassistenz, Design)
4. Was hast besonders gut funktioniert?
Eine unserer größten Sorgen war es Wege zu finden, die Gruppe bestmöglich konstant in ihrem Kontakt zu begleiten. Doch hat sich die Gruppendynamik so schnell verselbstständigt und gewinnbringende Momente hervorgebracht, dass wir uns beruhigt auf alles andere konzentrieren konnten. In den Pausen gab es keine Lagerbildung, auch ohne theaterpädagogische Spielereien wurde sich beschnuppert aber auch proaktiv Abstand gesucht, wenn das Bedürfnis danach aufkam. Besonders kleine Interaktionen wie z.B. ein Bergmann der dem Jungen den Schokomund abputzt oder die kleinsten der Kinder, die den Männern ungehemmt ihre Zuneigung und Vertrauen bekundeten, haben die beiden Parteien zusammengeschweißt. Wir hatten wirklich überraschend gute Voraussetzungen mit den Teilnehmenden gegen Ende in die künstlerische Arbeit einzusteigen. Auch wenn wir hin und wieder besorgt waren ihnen ein Konzept überzustülpen, waren alle vielmehr dankbar für die „professionellen“ Anstöße, die Kinder wie Bergmänner sehr eigenständig weitergedacht und umgesetzt haben.
Das ist absolut auf die aufgeschlossenen und investierten erwachsenen Charaktere zurückzuführen, die in den Kindern ebenso wache und interessierte Mitspielende gefunden haben. Hier blieb für uns nur noch die Aufgabe, diese Entwicklungen wie z.B. auffällig gut harmonierende Paarungen zu beobachten und in folgenden Übungen und während der Performance gezielt zusammenzubringen und zu fördern.
5. Muss das Projekt von einer Person mit künstlerischem Background nachgemacht werden? Könnten Kinder es nachmachen? Könnten Lehrende es nachmachen?
Für die Gestaltung der ersten Projekttage, also die Begleitung der tatsächlichen Begegnung, waren die theaterpädagogische Inhalte sinnvoll. Zwar hätte eine andere Aktivität wie z.B. ein gemeinsamer Ausflug sicherlich ähnliche zwischenmenschliche Ergebnisse erzielt, doch hatte der künstlerische Einschlag große Vorteile: Gegenüber den Kindern hatten die Bergmänner einen deutlichen Wissensvorsprung, sowohl was die Bergbauthematik betraf, als auch das Verständnis des Projektes und dessen Ziele.
Während der Bewegungs- und später Bühnenarbeit wurden die gestandenen Männer dann in vergleichbar kaltes Wasser geschmissen und mussten sich Unbekanntem stellen. Das hat geholfen die Augenhöhe immer wieder bestmöglich herzustellen.
Auch hatten wir den Eindruck, dass uns die allgemeine Fremdwahrnehmung als „coole, entspannte Künstler:innen“ von Bergmännern, Kindern und Betreuenden Sympathie, Interesse und Vertrauen in uns und unsere Arbeit geschenkt hat.
Der künstlerische Anspruch an die abschließende Performance hätte auch noch um einiges heruntergeschraubt werden können, sodass die Projekttage “nur” in einem Vortrag / einer Ausstellung gipfeln könnten.
Trotzdem denke ich, dass die Durchführung durch Lehrende neben den Vorteilen der erleichterten Organisation, die große Hürde mit sich bringt, ein neutrales Umfeld (geographisch, zwischenmenschlich ...) für die Begegnung zu schaffen. Ein Aufeinandertreffen innerhalb eines Schul-mikrokosmos wäre vielleicht eine passendere Abwandelung des Konzeptes. Das müsste dann aber meiner Meinung nach klar mit dem Framing *Schule* arbeiten (Bspw. Begegnung zweier Klassen/ Schüler:innen & Lehrende usw.), anstatt eine „fremde“ Personengruppe innerhalb eines Klassenverbandes kennenzulernen.
6. Wäre Dein Projekt, so wie es stattgefunden hat, wiederum gut nachzumachen?
Unbedingt! Nicht nur basierend auf der positiven Resonanz von fast allen Beteiligten, auch aufgrund der nicht zu leugnenden Zeitlichkeit der Bergbaugeschichte und ihrer Zeitzeugen im Ruhrgebiet, halte ich eine Wiederholung und/oder Nachmachen für richtig, wichtig und machbar. Viele infrastrukturelle und zwischenmenschliche Vorarbeit wurde nun geleistet und wir würden uns sehr wünschen in diesem Arbeitsumfeld weiterzumachen/ weitermachen zu lassen!
Natürlich könnte an unserer nachgemachte Version der menschlichen Kollision auch besonders der Fokus auf sozio-kulturelle Stadtentwicklung, Arbeiterklassen und die folgenden Generationen, nachgemacht werden (Z.B. Hamburg und seine Hafenarbeiter:innen o.ä.).
7. Hast Du das Gefühl, das Projekt wäre von Dir oder von einer anderen Künstlerin?
Selbst born & raised im Ruhrpott, hatte ich von Beginn an eine starke Verbundenheit der mit Idee und der Thematik. Diese hat sich auf allen planerischen wie künstlerischen Ebenen gehalten und die Fremd- und Selbstwahrnehmung befeuert, dass es mein eigenes (Herzens-)Projekt ist. Auch habe ich den Eindruck, dass wir diese Version stark durch unsere Arbeitsweise und Art gefärbt haben, was die ursprüngliche Theorie auf dem Papier zum Leben erweckt hat. Das knappe Jahr Wachstum und das finale Austragen der Idee hat große Identifikation mit dem Produkt zufolge gehabt und die Gedanken an die Herkunft eher verblassen lassen. Trotzdem hatte ich nie das Gefühl, ich mache gerade etwas GANZ NEUES.
Nur den Titel, der zu Anfang hat eine Form von Sicherheit bedeutete, sich aber zunehmend komisch angefühlte zu nutzen, hat Verwirrung gestiftet. Die Herkunft des Originalkonzeptes war theoretisch logisch aber praktisch selten verständlich zu erklären.
Branchenfremde wie die Eltern der Kinder oder die Teilnehmenden selbst waren überwiegend nicht interessiert an dem „größeren Ganzen“. Deswegen haben wir irgendwann die thematische Einbettung in NACHMACHEN stiefmütterlich behandelt und waren froh wenn zunächst das Nachgemachte verständlich genug war.
Doch die größeren Häuser mit denen wir in der Planungsphase im Kontakt standen, Kolleg:innenschaft oder die Presse fanden den Zusammenhang sichtlich spannend, sodass wir an diesen Stellen versucht haben den Rahmen zu erläutern. Das fanden wir wirklich schade und glauben, dass der Forschungsaspekt weniger in den Hintergrund geraten wäre, hätten wir das Nachmachen an einem Theater durchführen können.
8. Welche Fragen sind während des Prozesses aufgetaucht oder offen geblieben?
Inwieweit wäre es hilfreich, den Nachmachen-Kontext bei der Suche nach Geldern zu benennen oder ist der Hintergrund eher hinderlich, zu kompliziert?
Wie hätten wir den Bergmännern noch verständlicher machen können, dass es weniger um Bergbaukunde geht und vielmehr um das Aufeinandertreffen von Vergangenheit und Zukunft auf Augenhöhe?
Was erwartet die Nachmachen-Etiquette von den Künstler:innen der Originale, was von Nachmachenden? Z.B. wie bewerbe, vermarkte, gestalte ich die eventuelle abschließende Veranstaltung? Wie eng halte ich Kontakt zum Urhebenden? Wobei lasse ich mir ggf. sogar helfen und bei welchen konzeptuellen Fragen sollte sich bewusst für den ganz eigenen Weg entschieden werden? Wer hilft mir hier beim realistischen Einordnen der verschiedenen Umstände, Ansprüche und Arbeitsweisen? Gibt es genug Raum ehrlich darüber zu reflektieren?
Hätte noch mehr Unterstützung durch Netzwerk und Kolleg:innenschaft tatsächlich Arbeit erleichtert oder die Entfremdung und Relativierung der eigenen Färbung des Projektes befeuert? Besonders hier die konstante Frage nach der Balance: Wann ist es sinnvoll als junge, unerfahrene Kunstschaffende eingeordnet zu werden und wann war Fremd- und Selbstwahrnehmung ein unfairer und herabstufender Vergleich mit den „alten Hasen“?